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TU-Start-up traceless gewinnt den Deutschen Gründerpreis

Johanna Baare und Dr. Anne Lamp haben mit ihrem Unternehmen „traceless“ nach dem Hamburger Gründerpreis jetzt auch den Deutschen Gründerpreis gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Das Start-up ist eine Ausgründung der TU Hamburg und stellt Verpackungen aus Bioplastik her, die sich nach kurzer Zeit von alleine auflösen. So leistet das Unternehmen einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Verpackungsmüll.

Vor einem Jahr haben wir „traceless“ in spektrum 02/2021 porträtiert:

Ein Kunststoff, der sich einfach auflöst

Text: Frank Grotelüschen
Fotos: Eva Häberle

Weltweit fallen enorme Mengen an Plastikmüll an – 90 Millionen Tonnen davon landen irgendwo in der Umwelt. Ein an der TU Hamburg entstandenes Start-up verspricht Abhilfe: Es hat einen vielfältig einsetzbaren Kunststoff entwickelt, der vollständig kompostierbar ist und dadurch die Natur nicht belastet.

Auf dem Schreibtisch von Anne Lamp, zwischen Tastatur, Notizzetteln und Fachartikeln, steht ein Bügeleisen. „Das brauchen wir für unsere Arbeit“, lacht sie. „Damit laminieren wir unseren Kunststoff als dünne Beschichtung auf Papier.“ Der Kunststoff, von dem die junge Verfahrenstechnikerin spricht, besitzt eine bemerkenswerte Eigenschaft: Er besteht aus Getreideresten und ist komplett biologisch abbaubar. Sollte er versehentlich in die Umwelt gelangen, wird er nach Wochen oder spätestens Monaten vollständig von Mikroben verputzt – und ist, anders als gewöhnliches Plastik, schlicht verschwunden.

Begonnen hatte Lamp die Entwicklung nach ihrer Promotion an der TU Hamburg. Mittlerweile ist das Verfahren so weit, dass sie ein Patent angemeldet und ein Start-up namens „traceless“ gegründet hat. Dieses steht vor einer entscheidenden Phase: Bald geht eine Pilotanlage in Betrieb, die zeigen soll, wie sich der nachhaltige Kunststoff günstig und effizient herstellten lässt – eine wichtige Voraussetzung für den kommerziellen Erfolg. Bereits während ihres Bachelorstudiums ließ sich Lamp vom Prinzip der Nachhaltigkeit faszinieren und gründete die Hamburger Regionalgruppe von „Cradle to Cradle“ – eine Initiative, die den Gedanken der Kreislaufwirtschaft konsequent weiterentwickelt und unter die Leute trägt. „Wir verbrauchen Unmengen an Rohstoffen und erzeugen Unmengen an Müll“, sagt Lamp. „Dass es die Alternative einer Kreislaufwirtschaft gibt, mussten wir erstmal in den Köpfen verankern.“ Durchaus mit Erfolg – heute achten viel mehr Menschen und auch Unternehmen auf Nachhaltigkeit als früher. Folgerichtig widmete sich Anne Lamp vor einigen Jahren auch in ihrer Promotion einem nachhaltigen Thema – der Bioraffinerie. Darunter versteht man Anlagen, die Treibstoffe, Chemikalien, Energie und Werkstoffe gewinnen – allerdings nicht aus Erdöl wie eine gewöhnliche Raffinerie, sondern möglichst effizient aus pflanzlichen Grundstoffen, zum Beispiel Mais.

traceless-Gründerin Anne Lamp in ihrem Labor
traceless-Gründerin Anne Lamp in ihrem Labor

Faszination für Biomoleküle

„Ich war von diesen Naturmolekülen fasziniert“, erinnert sich Anne Lamp. „Bringt man sie in einer bestimmten Weise zusammen, können sie bemerkenswerte Eigenschaften zeigen.“ Bald stellte sie fest, dass sich aus den Biomolekülen, auf eine spezielle Art behandelt, ein plastikähnliches Material machen lässt. „Während meiner Doktorarbeit war das nur ein Seitenthema“, sagt die Forscherin. „Doch später habe ich in Gesprächen mit der Industrie gemerkt, dass sie an einem Kunststoff, der wirklich nachhaltig ist, ein großes Interesse hat.“ Zwar gibt es bereits Plastik zu kaufen, auf dem das Label „biologisch abbaubar“ prangt, doch das zersetzt sich nur unter großer Wärme in industriellen Anlagen statt in einem gewöhnlichen Komposthaufen – und genießt deshalb in der Öffentlichkeit nicht gerade den besten Ruf.

Also vertiefte sich Lamp in die Materie, tüftelte an den Details und verfeinerte ihr Verfahren immer weiter. Schließlich wagte sie 2020 einen mutigen Schritt und gründete traceless, gemeinsam mit der gelernten Ökonomin Johanna Baare. „Für mich bedeutete die Gründung eines Start-ups eine gewisse Umstellung“, sagt Lamp. „Ich musste die reine Wissenschaftsbrille abnehme und plötzlich auch wirtschaftlich denken.“ Eine erste finanzielle Starthilfe gab’s vom Förderprogramm „Calls for Transfer“ von Hamburg Innovation. Seitdem haben mehrere Partner einen niedrigen Millionenbetrag in das junge Unternehmen investiert.

Rückstände aus der Bierherstellung

Mittlerweile besteht traceless aus einem vielseitigen Team und die Fortschritte sind beachtlich. Im Labor zeigt Anne Lamp auf einige gelbliche, folienartige Bögen, säuberlich aufgereiht auf dem Labortisch – eine aktuelle Messreihe zur Optimierung des Materials. Es ist Papier, beschichtet mit dem traceless-Kunststoff. „An beschichtetem Papier, das bioabbaubar ist, besteht insbesondere für Lebensmittelverpackungen großes Interesse“, erklärt Lamp. „Deshalb arbeiten wir hier daran, die Eigenschaften dieser Beschichtungen stetig zu verbessern.“ Grundlage der Technik ist ein Granulat, das zu Folien, Beschichtungen oder auch zu soliden Kunststoffteilen verarbeitet werden kann. Der Rohstoff für dieses Granulat ist ein braunes Pulver, es sind Reste aus der Lebensmittelproduktion, zum Beispiel Getreiderückstände aus der Bier- und Stärkeherstellung. Biochemisch gesehen besteht dieses Pulver aus einer bunten Mixtur aus natürlichen Molekülen und Polymeren – Zellulose, Stärke, Lignin, Proteine, Sacharide, Fette. Aus diesem Gemisch extrahieren die traceless-Fachleute mittels raffinierter chemischer Verfahren das gewünschte Polymer-Ensemble. „Wir holen das raus, was wir brauchen“, erklärt Anne Lamp. „Darin liegt unsere Kernkompetenz.“ Das Resultat: ein pulverförmiges Granulat, das sich in verschiedenen Körnchengrößen herstellen lässt.

Dieses Granulat wird mit bestimmten, biobasierten Zusatzstoffen „gewürzt“. Mit diesen Additiven lässt sich das Material für bestimmte Anwendungen maßschneidern, etwa ob es besonders reißfest oder wasserabweisend sein soll. „Unsere Produktion ist ein geschlossener Kreislauf und erzeugt keinerlei Abwässer, Abfälle oder Emissionen“, erklärt Lamp. „Die CO2-Bilanz ist besser als die von Papier.“

Nach zwei Monaten komplett verschwunden

Auch die Abbaubarkeit hat das traceless-Team ausgiebig getestet: So steckten sie ihren Kunststoff in einen gewöhnlichen Gartenkomposthaufen, zusammen mit einer konventionellen Plastiktüte. „Nach zwei Monaten war unser Material komplett weg, anders als die Tüte“, erzählt Lamp. „Die war völlig unverändert.“ Aber könnte sich der traceless-Kunststoff dann nicht auch unbeabsichtigt zersetzen, etwa wenn er monatelang in der Speisekammer liegt? „Nein, er verhält sich ähnlich wie Papier“, antwortet Lamp. „Das zersetzt sich ja auch nur unter Bedingungen, wie sie in der freien Natur herrschen.“ Trocken und geschützt gelagert kann es jahrhundertelang halten – was unzählige historische Dokumente beweisen.

Aus dem traceless-Kunststoff ließen sich zum Beispiel Wegwerfartikel fertigen, die nach wie vor allzu oft in der Umwelt landen und deren Herstellung die EU seit diesem Sommer untersagt hat – darunter Trinkhalme, Lollistiele, Eislöffel und Wattestäbchen. Eine weitere Anwendung, an der das Start-up konkret arbeitet, gilt der Landwirtschaft: Hier werden Samen und Düngerkörnchen oftmals mit Kunststoff beschichtet, damit sie nicht gleich nach dem Ausbringen auf dem Feld ihre Wirkung entfalten, sondern verzögert. Für die Landwirtschaft ist das zwar praktisch, so muss sie weniger oft über die Felder fahren und Dünger und Samen ausbringen. Allerdings gelangen dadurch beträchtliche Mengen an Mikroplastik in die Umwelt. Würde man Dünger und Samen mit dem traceless-Kunststoff beschichten, wäre das Problem entschärft – er würde sich im Ackerboden spurlos verflüchtigen.

In großem Maßstab produzieren

„Unsere eigentliche Innovation liegt darin, dass wir mit unserem Verfahren sehr günstig produzieren können“, erläutert Anne Lamp. „Wir wollen nicht irgendein Nischenprodukt herstellen, sondern in großem Maßstab produzieren – schließlich wollen wir ja wirklich ein Problem lösen.“ Um die ehrgeizigen Pläne in die Tat umzusetzen, baut traceless im niedersächsischen Buchholz derzeit eine Pilotanlage: Pro Monat soll sie eine Tonne Granulat liefern – genug, damit diverse Partner und Kunden den nachhaltigen Biokunststoff ausgiebig testen und für verschiedenste Anwendungen erproben können. Auch erste Produkte dürfte es dann zu kaufen geben – wenn auch noch in überschaubarem Umfang.

Auch der nächste Schritt ist schon anvisiert: Der Pilotanlage, die in einem klassenzimmergroßen Raum Platz findet, soll eine erste kleine Industrieanlage folgen – geplante Monatskapazität: bis zu 500 Tonnen. „Diese Anlage soll Ende 2023 stehen und beweisen, dass unser Verfahren kostengünstig und in großem Maßstab funktioniert“, sagt Anne Lamp. „Dann sollte es bereit sein für einen großflächigen industriellen Einsatz.“