Chemische Produktionsverfahren brauchen oft viel Energie und erfordern den Umgang mit umweltschädlichen Stoffen. Ein Team der TU Hamburg arbeitet an einer Alternative, die im Wesentlichen mit Wasser, Strom und Enzymen auskommt.
Das Ding erinnert an einen Kaffeebecher zum Mitnehmen. Doch der Deckel hat keine simple Trinköffnung, sondern ist mit Schrauben und Schläuchen gespickt. Und in den Glasbecher ragen Metallröhrchen hinein, die vage an Strohhalme denken lassen. „Das ist unser 200-Milliliter-Reaktor“, beschreibt Victoria Bueschler, Doktorandin am TU-Institut für Technische Biokatalyse. „Er kann Wasserstoffperoxid erzeugen und dann mit anderen Stoffen reagieren lassen, und zwar mithilfe von Enzymen.“ Die Idee: Das neue Verfahren soll eines Tages giftige und teure Chemikalien in der Industrie ersetzen und zudem Energie sparen.
Wasserstoffperoxid (H2O2) ist ein wichtiger Basisstoff für die Chemie. Ebenso wie Wasser besteht es aus Wasserstoff und Sauerstoff – nur dass es nicht ein Sauerstoffatom besitzt, sondern zwei. Das macht das Molekül überaus reaktiv und zu einem effektiven Oxidationsmittel, etwa um Haare zu bleichen oder Kohlenwasserstoffe umzusetzen. „Ein Beispiel ist die Herstellung von Phenol aus Benzol“, erläutert Bueschler. „Heute braucht man dafür hohe Temperaturen, giftige Chemikalien und teure Edelmetall-Katalysatoren.“ Ließen sich diese Katalysatoren durch Enzyme ersetzen, könnte die Reaktion unter milderen Bedingungen ablaufen – sprich umweltschonender und energiesparender. Bioelektrochemie, so heißt der noch junge, vielversprechende Ansatz.
Eine Elektrode aus Kohlenstoff
Zwar gibt es bereits Enzyme, die Wasserstoffperoxid als Reaktionsbeschleuniger in andere Stoffe umsetzen. Nur: Ist dabei zu viel H2O2 im Spiel, greift es die Enzyme an und setzt sie schachmatt. Besser wäre es, wenn bei der Reaktion immer nur so viel Wasserstoffperoxid vorhanden ist, wie gerade gebraucht wird. Genau das strebt das TU-Team in seinem Projekt „AIO-eChemBIO“ an: Der Kaffeebecher-Reaktor stellt H2O2 her, das umgehend an Ort und Stelle umgesetzt wird – eine Kombiapparatur für Erzeugung und Synthese. Die Wasserstoffherstellung passiert in einem fingerdicken Stab, der in den Becher hineinragt. „Das ist eine Elektrode, sie besteht im Wesentlichen aus einer speziellen Form von Kohlenstoff“, erklärt Bueschlers Kollege Giovanni Sayoga und zeigt auf ein tiefschwarzes, ultraleichtes Material. „Dieser Kohlenstoff hat Poren wie ein Schwamm. Er besteht zu 90 Prozent aus Luft und wird hier an der TU gefertigt.“ Legt man diesen Kohlenstoffschwamm in Wasser und setzt ihn unter Strom, werden Wassermoleküle gespalten. Dabei bilden sich Sauerstoff und Wasserstoff, die sich unter geeigneten Bedingungen zu Wasserstoffperoxid zusammentun.
„Man braucht eigentlich nur Strom und Wasser und keine zusätzlichen Chemikalien“, sagt Sayoga. Über die angelegte Stromstärke lässt sich präzise einstellen, wieviel Wasserstoffperoxid erzeugt werden soll. Und kommt der Strom aus Windrädern und Solarzellen, kann die Produktion klimaneutral erfolgen.
Nachfolgeprojekt ist schon geplant
Dass der Trinkbecher-Reaktor im Prinzip funktioniert, konnte die Arbeitsgruppe bereits zeigen. Doch bevor das Verfahren in die Praxis umgesetzt werden kann, steht noch einiges an Forschungsarbeit an. Zum Beispiel: „Bislang müssen wir den Reaktor immer wieder neu befüllen, nachdem die Reaktionen abgelaufen sind“, erläutert Institutsleiter Prof. Andreas Liese. „In einem Nachfolgeprojekt wollen wir nun versuchen, den Prozess kontinuierlich zu gestalten.“ Dann könnte der bioelektrochemische Reaktor Tag und Nacht durchlaufen – eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz in der Industrie. Eines Tages ließen sich solche Permanent-Reaktoren dann modular zu größeren Einheiten zusammenschließen.
Victoria Bueschler und Giovanni Sayoga jedenfalls haben ihre Doktorarbeit bald im Kasten. Während Bueschler als Gruppenleiterin im Institut bleibt, liebäugelt Sayoga mit der Gründung eines Start-ups. „Wir haben uns bereits mit einer Firma zusammengesetzt, die unser Projekt sehr interessant findet“, erzählt er. „Für so ein Unternehmen als Start-up unser neues Verfahren anzuwenden, wäre eine reizvolle Idee.“
Weitere Informationen
Eingebettet sind die Aktivitäten im Projekt „AIO-eChemBIO“ der Technischen Biokatalyse in das DFG-Schwerpunktprogramm 2240 „eBiotech“, bei dem Forschungsgruppen aus ganz Deutschland an den Grundlagen der Bioelektrochemie arbeiten.
Mehr Informationen finden Sie unter: www.e-biotech.de/de/projekte.html