Je niedriger das Einkommen, desto höher sind die Belastungen durch Lärm und schädliche Emissionen
TUHH-Verkehrsforscherin Philine Gaffron beschäftigt sich mit Verkehrsbelastung und sozialer Gerechtigkeit
Emissionen des Verkehrs belasten sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit von Menschen. Deshalb vermeidet, wer es sich leisten kann, gerne die Nähe von Hauptverkehrsstraßen und lärmexponierten Gebieten. Dort wohnen Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten – zum Beispiel Mitglieder ethnischer Minderheiten oder Arbeitslose –, die so den negativen Folgen von mehr Lärm und mehr Abgasen ausgesetzt sind. Dr. Philine Gaffron von der Technischen Universität Hamburg untersucht diese Problematik genauer. Sie hat Daten für die Stadt Hamburg analysiert. Ihr Fazit lautet: „Die lokalen, negativen Auswirkungen von Straßenverkehr sind ungleich verteilt. Bestimmte Bevölkerungsgruppen leben beispielsweise eher in von Verkehrslärm belasteten Gebieten als andere.“ Generell lasse sich sagen: Je niedriger das Einkommen, desto höher sind die Belastungen durch Lärm und andere schädliche Emissionen. Und wie Schadstoffe kann auch Verkehrslärm das Wohlgefühl beeinflussen und krank machen. Gaffron ist Verkehrsforscherin am TUHH-Institut für Verkehrsplanung. Sie erarbeitet und bewertet Konzepte für die nachhaltige Mobilität und beforscht die Umweltauswirkung von Verkehr. Das oben erwähnte Forschungsprojekt trägt den Titel: „Umweltgerechtigkeit und Stadtverkehr“.
Was genau ist Umweltgerechtigkeit? In den USA ist der Begriff seit den 70er Jahren unter der Bezeichnung “environmental justice“ etabliert. Die sozialräumliche Ungleichheit von Umweltbelastungen wird dort als Gerechtigkeitsproblem verstanden. Bürgerrechtsbewegungen erkannten frühzeitig, dass Hautfarbe, Armut, Umweltbelastung und Gesundheit zusammenhängen. Endlich sind das Verständnis, sowie Forschung und Wissenschaft im Bereich der Umweltgerechtigkeit auch in Deutschland und an der TUHH angekommen. Während Studien zur Umweltgerechtigkeit zum Verkehr sich hierzulande jedoch überwiegend auf Sekundärdatenansätzen, wie den bundesweit oder regional organisierten Haushaltsbefragungen stützen, stellt sich die Datenlage in den USA grundlegend anders und oft differenzierter dar.
Dr. Gaffron studierte Ökologie und Landschaftsarchitektur in Großbritannien und promovierte über Verkehrsplanung in Edinburgh/Schottland zur Umsetzung von Planungen für Fußgänger und Radfahrer. 2012 und 2013 forschte sie mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der University of California in den USA. Sie untersuchte sowohl Wohn- als auch Schulstandorte in der Region um die kalifornische Hauptstadt Sacramento. „Ich hatte zum Beispiel Informationen über den Anteil der Schülerschaft an jeder Schule, der ethnische Minderheiten angehören, die aufgrund des geringen Einkommens im Elternhaus subventionierte Schulmahlzeiten erhalten. Außerdem gab es Daten zum durchschnittlichen Bildungsgrad der Eltern an jeder Schule. Die Untersuchung hat klar gezeigt, dass die Belastung durch Emissionen aus dem Straßenverkehr generell da höher ist, wo der Bildungsgrad der Eltern geringer und der Anteil der Schülerinnen und Schüler aus ethnischen Minderheiten höher ist und mehr Schüler aus finanziell schwachen Familien stammen.“ Die Forscherin würde gerne eine vergleichbare Untersuchung in Hamburg durchführen, aber: In Deutschland sind solch detaillierte Informationen nicht öffentlich verfügbar.
Auch bei den Wohnstandorten ist es schwierig, denn es liegen zwar sozioökonomische Daten zu den sogenannten statistischen Gebieten in Deutschland vor, aber diese sind deutlich größer angelegt als die kleinsten Erhebungseinheiten des Zensus in den USA. „Will man in Deutschland ein kleineres geografisches Gebiet – beispielsweise einen Straßenzug oder einen Wohnblock – hinsichtlich der Lärm- oder Feinstaubbelastung durch den Verkehr untersuchen, stößt man bei den öffentlichen Statistiken sehr schnell an Grenzen. Deshalb wird hier häufig mit Sekundärdatensätzen gearbeitet, in denen die Befragten ihre Belastung durch Verkehrsemissionen subjektiv bewerten, die aber räumlich nicht zuzuordnen sind", sagt Gaffron. „Um jedoch die eigentlichen Problemgebiete auszumachen, muss man ins Detail gehen und genauer analysieren.“ Der Idealfall wäre, dass niemand einer gesundheitsschädlichen Belastung durch Verkehrsemissionen ausgesetzt ist.
„Das aber lässt sich aufgrund unserer hiesigen Mobilitätsmuster – also der Verkehrsmittelwahl oder auch die Anzahl der zurückgelegten Wege etc. – gerade in Städten nicht realisieren. Daher sollten in der Planung entsprechende Prioritäten gesetzt werden.“ Dafür sei besonders wichtig, sich die ausgeprägtesten Problemlagen anzuschauen, denn dort, wo eine hohe Emissionsbelastung und sozio-ökonomische Nachteile zusammen kämen, könne man generell auch die größten Gesundheitsprobleme finden, so die Verkehrsexpertin. Hohes Einkommen und Bildung haben einen großen Einfluss auf die Fähigkeit, Gesundheitsschäden zu vermeiden oder sie zu behandeln. Schätzungen zu den Gesundheitskosten, die durch Verkehrsemissionen entstehen, bewegen sich für Deutschland im zweistelligen Milliardenbereich - zusätzlich zu den prinzipiellen Fragen der sozialen Gerechtigkeit.
Speziell bei Lärm ist die Betroffenheit ein starkes subjektives Element. Diese Erfahrung machten Studierende in einer Veranstaltung bei Dr. Gaffron. Thema war die Lärmbelastung an stark befahrenen Straßen in Hamburg. Hierzu befragte Anwohner der Kieler Straße berichteten beispielsweise, dass die Lärmbelastung objektiv hoch sei, sie sich jedoch daran gewöhnt hätten. Gaffron: „Dennoch kann es sein, dass Lärm nachts die Schlafqualität beeinträchtigt und so auf längere Sicht die Gesundheit schädigt.“
Die Verkehrsforscherin arbeitet daran, neue Bewertungswerkzeuge zu entwickeln, mit Hilfe derer die Belastung kleiner Raumeinheiten (Straßenzüge oder -abschnitte) durch Verkehrsemissionen für große Untersuchungsgebiete quantifiziert und verglichen werden kann. Solche Methoden ermöglichen interessierten Kommunen, mit relativ geringem Aufwand einen guten Überblick über die unterschiedliche Belastung der Bevölkerung durch Emissionen des Straßenverkehrs zu erlangen; ohne mit teurer Software über Monate Modellierungen aufbauen und durchführen zu müssen. Die Methoden können zur Sensibilisierung von sowohl Entscheidungsträgern aber auch der Bevölkerungen beitragen und somit ein verbessertes Bewusstsein für Fragen der Umweltgerechtigkeit schaffen.
Text: Martina Brinkmann