Öl-Steigleitungen im Würgegriff des Hexapod
Einmalige Großanlage an der TUHH prüft Bauteile aus Faserverbundstoffen unter realitätsnahen Bedingungen
Gespannt blicken zwei Wissenschaftler der National University of Singapore (NUS) und ihre deutschen Kollegen vom TUHH Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik auf den Monitor. Auf ihm verfolgen sie, was in dem wenige Meter entfernten tonnenschweren Hexapod geschieht. Die Großanlage an der Technischen Universität Hamburg ermöglicht in einem universitären Umfeld mechanische Tests an größeren Bauteilen aus Faserverbundwerkstoffen unter realitätsnahen Bedingungen. Die Wissenschaftler aus dem asiatischen Stadtstaat testen dort mit ihren deutschen Kollegen Prototypen neu entwickelter Oil Riser, so genannte Öl-Steigleitungen auf Festigkeit unter kombinierter Zug- und Biegebelastung. eine Reihe von 9m langen Rohren, die mit Joints aneinandergereiht werden bis die entsprechende Tiefe erreicht ist
Professor Dieter Krause, Leiter des Instituts für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik, erklärt: „Bei den Prüfkörpern handelt es sich um eine Neuentwicklung von Oil Riser-Verbundkonstruktionen aus gewickeltem kohlefaserverstärkten Kunststoff (CFK) und einer Leichtmetalllegierung. Eingesetzt werden die Öl-Steigleitungen zur Erdölförderung auf See, die sich zunehmend schwieriger gestaltet. Um die wertvollen Rohstoffe zu fördern, geht es in immer tiefere Meeresregionen. Herkömmliche Oil Riser aus Stahl sind für extreme Tiefen zu schwer. Durch das Eigengewicht der langen Leitung kommt es zu hohen Zugkräften. Durch seitliche Meeresströmungen entstehen zusätzlich Biegekräfte, die zu einer mehraxialen Beanspruchung der Riser führen. Dieser komplexe Beanspruchungszustand kann exakt auf unserem einzigartigen Hexapod-Prüfstand abgebildet werden.“
Der Hexapod (Hexa, griech:.sechs; pod, griech.: Fuß) ist eine höchst beeindruckende Prüfanlage mit einer Höhe von rund 3 Metern, welche Kräfte von bis zu 500 Kilonewton/kN aufbringen kann. 500 kN entsprechen einem Gesamtgewicht von etwas 51 Tonnen oder 51 Kleinwagen à 1000 Kilogramm. Sie prüft die Stabilität von Bauteilen aus Faserverbundstoffen, wie beispielsweise Flugzeug-Bordküchen oder -kabinensitzen oder auch Teile der Federung von Eisenbahnwaggons. Die Maschine besteht aus sechs hydraulischen Zylindern. Deren Füße sind am Boden drehbar befestigt; die beweglichen Kolbenstangen tragen eine Plattform, auf oder unter welcher die zu untersuchenden Bauteile befestigt werden. Die Plattform kann mehraxial in den drei Raumrichtungen - oben/unten, vor/zurück, rechts/links - sowie in Drehbewegungen um jede dieser Raumachsen bewegt werden. Sensoren messen, welche Kräfte und Beschleunigungen wo (an welcher Stelle) auf das Bauteil wirken. Daraus können Rückschlüsse auf die Steifigkeit und die Festigkeit des Prüfobjekts gezogen werden. Aufgrund der hohen dynamischen Belastungen wurde für den Hexapod-Prüfstand ein 350 Tonnen schweres Spezialfundament gebaut, das die im laufenden Betrieb entstehenden hohen dynamischen Kräfte sicher aufnimmt.
Geradezu zierlich präsentieren sich die Prüfobjekte der Gäste aus Singapur. Für die Versuche angereist sind der Deputy Head des Department of Mechanical Engineering der NUS, Prof. Vincent Tan, und der Postdoc Dr. Chen Yu. (Der "Postdoc" steht für den Zeitraum zwischen der Promotion und einer möglichen Professur.)
Seit drei Jahren arbeiten die Wissenschaftler des TUHH-Instituts und der NUS zusammen.
Professor Krause: „Für die Oil Riser wird in mehreren Versuchen die Hüllkurve der maximalen Zug- und Biegebelastungen bis zum Versagen bestimmt. Diese dient der Überprüfung der von der NUS im Vorfeld durchgeführten detaillierten Simulation der hochfesten Oil Riser. Diese Neuentwicklung mit einer optimierten Lastübertragung zwischen CFK-Wicklungen und Leichtmetallkern und einer hohen Tragfähigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht ermöglicht deutlich längere Steigleitungen für die Tiefseeförderung.“
Normalerweise misst die Sektion eines Oil Risers 15 Meter und hat einen Durchmesser von zirka 30 Zentimetern. Die zu prüfenden Prototypen sind verkleinert und dienen der Überprüfung des Konzepts. Die Versuchergebnisse zeigen eine gute Übereinstimmung mit den zuvor durchgeführten Simulationen und bestätigen damit die Funktionsweise des Konzepts. Der nächste Schritt ist die Übertragung der gewonnen Erkenntnisse auf die realen Abmessungen der Oil Riser.
Die Riser werden im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts GeSACC zur Forschungskooperation zwischen den Wissenschaft Krause und Tay, Head des Department of Mechanical Engineering der National University of Singapore, in Hamburg getestet. Die Versuchsplanung und -entwicklung erfolgt in bilateralem Austausch von Wissenschaftlern beider Universitäten mit Besuchen in Hamburg und Singapur.
3,54 Millionen Euro hat das einzigartige Prüfgerät und die für sie gebaute Halle gekostet; 2,8 Millionen zahlte die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG, 440.000 Euro gab die TUHH dazu, 300.000 Euro zahlte die Wissenschaftsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Drei Forschergruppen teilen sich die neue Maschine: Das Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik an der TUHH unter der Leitung von Professor Dieter Krause, das unter anderem mit dem Flugzeughersteller Airbus zusammenarbeitet, untersucht vorrangig Flugzeug-Kabinenkomponenten. Das von Professor Bodo Fiedler geführte Institut für Kunststoffe und Verbundwerkstoffe testet bis zu 1,50 Meter große quadratische Werkstücke aus Faserverbundstoff. Und das Institut für Zuverlässigkeitstechnik unter der Leitung von Professor Uwe Weltin prüft faserverstärkte Gummifedern und -dämpfer, die zum Beispiel im ICE zum Einsatz kommen.
Martina Brinkmann