Fachübergreifend und praktisch schon im ersten Semester
Die interdisziplinären Bachelor-Projekte sind eine neues Angebot für die Erstsemesterinnen und Erstsemester
Wie kann die Lehre für angehende Ingenieure besser und erfolgreicher werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Zentrum für Lehre und Lernen (ZLL) der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Um neue Lernformen praxisnäher zu gestalten, gibt es seit 2012 das interdisziplinäre Bachelor-Projekt, das Studienanfängerinnen und –anfänger mitnimmt in eine Lernlandschaft, die sich eng an der Realität orientiert. Dieses Projekt wird vom ZLL für alle Studierenden des ersten Semesters angeboten.
Dieses Jahr werden in Anlehnung an die drei Kompetenzfelder der TUHH drei Aufgabenstellungen zur Wahl stehen: Die Studierenden können einen Algenreaktor konzipieren, ein Luftschiff mit einem Antrieb und einer Steuerung versehen oder eine Kleinwindkraftanlage konstruieren. Das Projekt ist freiwillig und wird auch für die „mytrack“ Studierenden als Anknüpfungspunkt genutzt.
Zum Abschluss des Semesters im Frühjahr 2015 wird es eine Präsentation der Prototypen an der TUHH geben. „Der große Erfolg des interdisziplinären Bachelor-Projekts freut uns sehr. Wir sind sehr glücklich, in diesem Jahr drei unterschiedliche Themen anzubieten. So geben wir vielen unserer neuen Studierenden die Möglichkeit, sich zu Beginn des Studiums als Ingenieur bzw. Ingenieurin auszuprobieren“, sagt Dipl.-Ing. Uta Riedel, Projektverantwortliche im ZLL. „Selbst ein Konzept zu entwickeln und anschließend auch zu realisieren, ist Dank der hervorragenden Zusammenarbeit der beteiligten Institute und der Studierendenwerkstatt der TUHH möglich. Die Gründung der studentischen AG „Aviate“ aus dem Pilotprojekt im Jahr 2012 heraus, zeigt uns, dass wir den richtigen Weg gehen. Und vor allem freut uns, dass sich ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch nach dem eigentlichen Projektende bei uns engagieren," meint Siska Simon, Fachreferentin für Projektarbeit im ZLL, die seit Beginn im Projekt dabei ist.
Professor Bodo Fiedler, Leiter des TUHH-Instituts für Kunststoffe und Verbundwerkstoffe, der sich bereits im letzten Jahr sehr engagiert in das Projekt eingebracht hat, startet zum Wintersemester mit einer eigenen Aufgabenstellung: Unter dem Projekttitel „citywind“ werden die Studierenden eine Windkraftanlage konzipieren und realisieren. Fiedler studierte an der TUHH Maschinenbau, wechselte 2006 zu einem Schweizer Technologiekonzern und kehrte vor einem Jahr an seine Alma Mater zurück.
„Citywind ist ein urbanes Projekt, das gesellschaftlich von großem Interesse ist und die Kompetenzentwicklung Studierender im ersten Semester durch interdisziplinäre Vernetzung von Beginn des Studiums an fördert. Auch zeigt das Projekt deutlich, was sich innerhalb der TUHH alles machen lässt“, sagt der Professor. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig der Einstieg in die Mathematik, Mechanik oder Thermodynamik zu Beginn des Studiums sein kann und viele sich die Frage stellen: „Wofür brauche ich das alles?“
Fiedler: „Ein gesellschaftlich interessantes und motivierendes Projekt wie das interdisziplinäre Bachelor-Projekt zeigt, wie man in Zusammenarbeit mit vielen Fachrichtungen zum Ziel kommt. Das Projekt ist aufgezogen wie ein Planspiel. Die Studierenden-Teams organisieren ihre Arbeit weitgehend selbständig. Begleitet werden sie von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Institute und des Zentrums für Lehre und Lernen (ZLL) sowie studentischen Tutoren und Tutorinnen.“
Diese Erfahrung und das Erlebnis, miteinander planen, berechnen und gestalten zu können, mit verschiedenen Materialien zu experimentieren und schließlich ein gutes und in der Produktion günstiges Produkt zu präsentieren – das wird allen Teilnehmenden unvergesslich bleiben.
„Grundsätzlich schwebt mir die Idee von einer Technischen Universität vor, die Forschung und Lehre zusammenbringt und an der Studierende lernen, auf Augenhöhe mit allen am Projekt Beteiligten zu kommunizieren. Das lässt sich in dem beschriebenen Projekt erleben“, so Bodo Fiedler. Als Mann aus der Industrie weiß der Professor, worüber er spricht.
Bereits 2011 veröffentlichte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag eine Umfrage, in der Unternehmen ihre Kritik an den Bachelor-Studiengängen zum Ausdruck brachten. „Die Unternehmen vermissen vor allem die Verknüpfung von Theorie und Praxis bei den Absolventen der neuen Studiengänge“, sagte er damalige DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann dem Handelsblatt. Er forderte eine bessere Vorbereitung der Studierenden auf ihre späteren Jobs in der Wirtschaft. Dazu müssten die Hochschulen viel häufiger Praxisphasen ins Studium integrieren: Pflichtpraktika, Projektarbeit und Vorlesungen, in denen Unternehmer Einblick in den Unternehmensalltag geben.
Hinsichtlich des Projekts „citywind“ formuliert Professor Fiedler weitergehende Pläne. An der Technischen Universität Hamburg widmet er sich unter anderem der Forschung an Verbund-Materialien (Composites), die in der Rotorblattfertigung verwendet werden sowie in den Bereichen Mobilität und dezentrale Energieversorgung. Die Rotorblätter sind sehr wichtige und elementare Bestandteile einer Windkraftanlage. An sie werden unterschiedliche Anforderungen gestellt und sie sind sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Fiedler forscht an der Lebensdauervorhersage von Composites, um diese als Strukturwerkstoffe zu verbessern und mögliche funktionelle, intelligente Eigenschaften wie Sensoren zu integrieren. Diese intelligenten Werkstoffe werden als „smart materials“ bezeichnet. Seine Idee ist, diese Werkstoffe und ebenfalls andere Erfindungen aus am Projekt beteiligten TUHH-Instituten im Projekt „citywind“ zu einem späteren Zeitpunkt zu integrieren und zu testen. *
Dr. Andrea Brose , Leiterin des ZLL, sagt: „Viele sehr gute Projekte sind an der TUHH bereits integriert. Die Möglichkeiten interdisziplinäre Zusammenarbeit zu lernen und mit neuen Medien diese Projektformate zu begleiten, sind aber noch lange nicht ausgeschöpft. Unser Ziel ist, Studierende in aktiven in kompetenzorientierten Studiengängen auf ihr Berufsleben in Forschung und Entwicklung vorzubereiten. Dies wird durch Erkenntnisse der Hochschul- und Fachdidaktik unterstützt, die am ZLL angewendet und weiterentwickelt werden.“
Weitere Informationen:
Auszeichnung als “Good Practice”
Beteiligte Institute und Einrichtungen:
Institut für Kunststoffe und Verbundwerkstoffe
Institut für Fluiddynamik und Schiffstheorie
Institut für Baustoffe, Bauphysik und Bauchemie
Institut für Regelungstechnik
Institut für Verkehrsplanung und Logistik
Institut für Technik, Arbeitsprozesse und Berufliche Bildung
Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik
Zentrum für Lehre und Lernen