Elektronenmikroskopie an der TUHH

Das tägliche Geschäft mit skurrilen Formen und fragilen Strukturen

„Unsere Geräte sind kleine Diven, die viel Aufmerksamkeit brauchen.“ Das sagt Martin Ritter über seine engsten Mitarbeiter: das Transmissionselektronen­mikroskop (TEM) und drei Rasterelektronenmikroskope (REM). Neben ihnen gehören zur sogenannten Betriebseinheit Elektronen­mikroskopie (BeEM) der TUHH drei technische Angestellte, ein Postdoc, ein Hilfswissenschaftler, die Sekretärin und er selbst. Als der gebürtige Liechtensteiner 2011 die Leitung der bis dahin über Jahre kommissarisch geführten Betriebseinheit übernahm, kam er im rechten Augenblick. Denn schon nach wenigen Monaten stieg die Betriebseinheit inklusive "Diven" und Personal als sogenanntes Serviceprojekt in den Sonderforschungsbereich „Maßgeschneiderte Multiskalige Materialsysteme – M3“ (SFB 986) ein. Darin arbeiten Teams der TUHH, der Universität Hamburg und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht eng zusammen, um Werkstoffe und Bauteile zu entwickeln, die maßgeschneiderte mechanische, elektrische oder photonische Eigenschaften besitzen. Vorbild ist den Wissenschaftlern auch die Natur, deren Materialkonzepte sie mit Hilfe klassischer ingenieur­wissen­­schaftlicher Verfahren nachbilden. So werden z.B. ähnlich den natürlichen Vorbildern Perlmutt, Zahnschmelz und Knochen völlig neuartige Strukturen für keramische Materialsysteme entworfen und hergestellt.

„Unsere Aufgabe ist es, den einzelnen SFB-Teilprojekten Geräte für die Probenpräparation und Mikroskopie zur Verfügung zu stellen“, sagt Martin Ritter, der im Institut für Geodäsie an der TU Berlin promovierte. Studiert hat er ursprünglich Biologie. „Heute sind die Materialwissenschaften die treibende Kraft bei der Entwicklung der modernen Elektronen­mikroskopie. In der ersten Zeit waren es allerdings auch die Bio-Wissenschaften, die maßgeblich zur Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie beigetragen haben, weil man nur damit Viren und Zellbestandteile visualisieren konnte“, so Ritter, der im Rahmen seiner biologischen Studien an der ETH Zürich das Spezialgebiet Elektronen­mikroskopie belegte. Später verschlug es ihn nach Hamburg an das Heinrich-Pette-Institut auf dem Gelände der Universitätsklinik Eppendorf. Es folgten Jahre der Forschung an der Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung (BAM) in der Bundeshauptstadt und ein zweijähriger Aufenthalt im englischen Cambridge. Mit Martin Ritter hat die TUHH eine Spitzenkraft gewonnen: „Es macht großen Spaß hier zu arbeiten, auch weil es einiges aufzubauen gibt.“ Stolz präsentiert er eine Bilanz, wonach seit 2006 die Hälfte der über 70 TUHH Institute „Kunden“ in der BeEM waren. „Alle, vielleicht abgesehen von Betriebswirtschaftlern und eher abstrakt Forschenden, kommen irgendwann zu uns mit ihren Proben. Dabei sind Bereiche, in denen wir oftmals keine Erfahrung haben und in die wir uns einarbeiten müssen.“


An Herausforderungen mangelt es nicht. Manchmal, so Ritter, dauere die Präparation eines Objekts mehrere Tage, ein anderes Mal führe die Interpretation dessen, was man sieht oder glaubt zu sehen, an die eigenen Grenzen. „Schwierig sind aber Präparationen. Die feine Grundstruktur bei einer Keramik oder einem Zahn passend für das Mikroskop zu zersägen, polieren, dimpeln und mit einem Ionenstrahl ein Loch hinein zu ätzen, das alles kann die Grundstruktur der Probe zerstören.“ Um derartige Arbeiten im Rahmen des Sonderforschungsbereichs durchführen zu können, haben bereits im Sommer 2012 DFG Gutachter im SFB 986 den Ausbau der Elektronenmikroskopie an der TUHH empfohlen und auch eine Postdoc Stelle bewilligt.
Es folgte ein Großgeräteantrag diverser Antragsteller aus der Technischen Universität Hamburg. „Der Hauptteil der Antragsteller gehört dem Sonderforschungsbereich an. Daneben aber gibt es auch Antragsteller aus anderen TUHH-Bereichen, wie beispielsweise den Life Sciences oder dem Bauwesen. Und genau das war mein Anliegen. Diese Mischung ist mir sehr wichtig, da wir – die Betriebseinheit Elektronenmikroskopie – eine zentrale Einrichtungen für die gesamte Universität sind und bleiben wollen.“
Beantragt wurden ein hochauflösendes Transmissionselektronen­­mikroskop mit einem Detektor speziell für Elementanalysen sowie ein Focused Ion Beam (FIB)- Mikroskop. Dieses wird künftig für die Präparation diffiziler Proben eingesetzt. Mit dem FIB kann eine breite Palette von Werkstoffen wie Metalle, Halbleiter, Keramiken oder auch organische Materialien für TEM-Untersuchungen präpariert werden, außerdem kann damit Nanostrukturierung erfolgen und auch die tomographische 3D Rekonstruktion von Probenvolumen. Das TEM ist ein spezielles Durchstrahlungsmikroskop, das durch bis zu 200 kV Hochspannung beschleunigte Elektronen im Vakuum zur Abbildung und starken Vergrößerung kleinster Objekte verwendet.

Die Entscheidung über die Bewilligung der Großgeräte steht kurz bevor. Martin Ritter: “Mit der Genehmigung der ca. zweieinhalb Millionen Euro teuren Geräte werden Elektronenmikroskopie und Forschung an der TUHH in diesem Bereich ins Blickfeld der Wissenschaft rücken und an Reputation gewinnen.“

Hart, fest und schadenstolerant: unser Zahnschmelz. Um das zu erreichen, greift die Natur zu einem Trick, den Professor Schneider und Ezgi Yilmaz am Institut für Keramische Hochleistungswerkstoffe unter dem Elektronenmikroskop sichtbar machen. Ein komplex verwobener Aufbau verleiht dem Zahnschmelz bei einer Dicke von gerade mal einem Millimeter seine erstaunlichen Eigenschaften.

a) Bereits bei geringer Vergrößerung kommen regelmäßige, ineinander verflochtene Bänder zum Vorschein, die etwa einen zwanzigstel Millimeter dick sind. Diese sog. Hunter-Schreger Bänder besitzen eine innere Struktur.

b) Mikrofasern, im Fachjargon "Rods" genannt. Sie sind einige Mikrometer (tausendstel Millimeter) dick und von Proteinhüllen umgeben. Unzählige, noch dünnere Fasern geben den Rods das Aussehen einer Packung Spaghetti.

c) Die Bestandteile der Rods, die Nanofasern, sind längliche Kristalle. Sie bestehen aus Hydroxylapatit (HAP), einem harten Mineral. Eine weiche Proteinhülle umgibt die einzelnen Fasern als eine Art Klebstoff.

Eng verzahnt ist dieser hierarchische Aufbau auch mit dem Sonderforschungsbereich 986: Dort ist ein WDR-Beitrag von "Quarks & Caspers" zum Thema Zahnschmelz an der TUHH abrufbar.