Die Bibliothek im Wandel

Ein Gespräch mit der TUHH-Bibliotheksdirektorin Inken Feldsien-Sudhaus und ihrem Stellvertreter Thomas Hapke

Der Klick ins Netz ersetzt zunehmend die klassische Ausleihe gedruckter Werke. Wenn alles im Netz abrufbar ist, brauchen Universitäten dann überhaupt noch Bibliotheken?

Inken Feldsien-Sudhaus: Der „Klick ins Netz“ wird ja durch die Bibliothek möglich gemacht. Wir verhandeln mit den Verlagen und lizensieren die Inhalte. Wir machen die Inhalte für unsere Nutzer im Netz auffindbar, das sind heute Kernaufgaben im Alltag. Unsere Bibliothek genießt bei den Studierenden große Attraktivität und ihre Räume sind insbesondere zu Prüfungszeiten voll. Sie ist beliebt als Lern- und Arbeitsort. Dicht an der zum Arbeiten benötigten Literatur herrscht eine besondere Form von Arbeitsatmosphäre und Konzentriertheit, die ihre Besucher nicht vom Arbeiten und Lernen ablenkt, sondern positiv motiviert. Das Gebäude der TU Bibliothek wurde 1991 bezogen und war damals auf höchstens 3000 Studierende ausgerichtet. Heute sind es über 6700. Seit Jahren stellen wir uns auf die wachsende Zahl der Studierenden ein: Die Zahl der am Anfang verfügbaren 110 Arbeitsplätze wurde auf 295 erweitert, davon 100 für Gruppenarbeit und 35 Arbeitsplätze ausgestattet mit PCs für Katalog- und Internet-Zugang. Wir haben dafür u.a. Mitarbeiterräume umgebaut. Unsere neuen Gruppenräume sind sehr schön, sie kommen gut an. Dort darf diskutiert und in der Gruppe gearbeitet werden. Es waren die Studierenden, die sich diese Räumlichkeiten gewünscht haben. Darüber hinaus sind über Jahre - finanziert von der Hamburger Sparkasse aus dem Zweckertrag des Lotterie-Sparens - kleine Arbeitsnischen in der Bibliothek entstanden, umgeben von schallschluckenden Wänden.

Thomas Hapke: Wir sind eine Universitätsbibliothek im Übergang und haben in den vergangenen Jahren unsere Hybride Bibliothek entwickelt, in der wir zunehmend Informationen und Dienstleistungen in elektronischer Form anbieten. In den vergangenen 3 Jahren hat sich der Anteil der lizensierten, digitalen Produkte verdoppelt! Viele Studierende bevorzugen aber zum aktiven Lernen bei Lehrbüchern und Studienliteratur weiterhin gedruckte Ausgaben. Ich vermute, es wird immer einen gewissen Anteil an Gedrucktem im Bereich der Lehr-und Fachbücher geben, bei reiner Forschungsliteratur, wie wissenschaftlichen Zeitschriften, allerdings kaum noch. Dennoch haben auch bei Fachbüchern E-books den Vorteil, parallel von unzähligen Menschen gelesen werden zu können. Das gedruckte Buch indes kann immer nur von einem gelesen werden.

Wie findet die Kundschaft der TUB die von ihr benötigte Literatur?

Hapke: Das gedruckte Lehrbuch soll genauso schnell gefunden werden wie der wissenschaftliche Artikel oder der frei zugängliche Forschungsbericht. Seit dem Wintersemester 2012/13 ist TUBfind die Suchmaschine der Bibliothek. Die neuen Suchmöglichkeiten wurden speziell an die Bedürfnisse der TUHH-Nutzerschaft angepasst. Mit TUBfind nähern wir uns im Handling Google an. Die dazu eingesetzte Software ist ein Open-Source-Produkt. Wir sind eine der ersten Universitätsbibliotheken in Deutschland, die diese Software eingesetzt hat. Der stark vergrößerte Suchraum mit Zeitschriftenartikeln wurde bisher sehr gut angenommen. 450.000 Recherchen entfielen 2013 auf TUBfind, während der bekannte klassische Katalog noch 160.000 Mal genutzt wurde.

Parallel dazu stellt die TUB ihre digitalen Medien über einen Linking-Dienst zur Verfügung. Dadurch kann auch auf externen Webseiten, wie zum Beispiel Google Scholar, angezeigt werden, ob wir als TU’ler Zugriff auf digitale Volltexte haben. Es können aber auch Verweise auf weitere Services genutzt werden, wie z.B. die Bestellung von Medien aus anderen Bibliotheken oder die Übernahme der Literaturangaben in ein Literaturverwaltungsprogramm.

Die TUB leistet vermehrt Publikationsunterstützung. Wie gestaltet sich das?

Feldsien-Sudhaus: Wenn ein Wissenschaftler heute einen klassischen wissenschaftlichen Artikel publizieren möchte, reicht er ihn bei einer renommierten Zeitschrift ein, um dort zur Publikation angenommen zu werden. Gelingt es, muss er unterschreiben, dass er seine Verwertungsrechte abtritt. Daher kann es sein, dass er die digitale Version nicht mal in der Lehre nutzen kann. Nun gibt es eine Gegenbewegung, die sagt : Warum ist das, was die öffentliche Hand in der Forschung finanziert, nicht verfügbar? Die Alternative ist der offene und kostenfreie Zugang zu wissenschaftlichen Abhandlungen. Das ist Open Access. Ein wissenschaftliches Dokument unter Open-Access-Bedingungen zu publizieren, gibt jedermann die Erlaubnis, dieses Dokument zu lesen, herunterzuladen, zu speichern, es zu verlinken, zu drucken und damit kostenfrei zu nutzen. Open-Access-Artikel sind frei verfügbar, werden dadurch eher gelesen und vielleicht auch eher zitiert. Bei Veröffentlichungen in echten Open-Access-Zeitschriften fallen für Autoren oder Autorinnen in der Regel Publikationsgebühren zwischen wenigen 100 und bis zu 3000 Euro an. Beim sogenannten grünen Weg werden in kostenpflichtigen Zeitschriften publizierte Aufsätze nachträglich auf lokalen Hochschulservern wie TUBdok, dem „Institutional Repository“ der TUHH, parallel veröffentlicht.

Im Frühjahr 2013 hat das Präsidium Open Access als strategisches Ziel der TUHH definiert und die Bibliothek beauftragt, ihre Aktivitäten in diesem Aufgabenfeld zu verstärken. Durch eine Umfrage, in der wir nach der Anzahl der bisher veröffentlichten Open-Access-Publikationen fragten, erhielten wir viele persönliche Rückmeldungen und Anfragen aus den Instituten. Damit wurde vielfach die Aufmerksamkeit erstmals auf dieses Thema gelenkt. Als Unterstützung für die Veröffentlichung weiterer Artikel in Open-Access-Zeitschriften wurde ein Publikationsfonds aus TU-Mitteln in der Bibliothek eingerichtet.

Hapke: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert diese Art der Veröffentlichungen, so dass es uns möglich sein wird, in diesem Jahr die Publizierung von 12 bis 15 Aufsätzen vollständig zu finanzieren. Darüber hinaus gehen hier Rechenzentrum und Bibliothek noch einen Schritt weiter und stellen den Wissenschaftlern zur Vorbereitung ihrer Veröffentlichung ein Literaturverwaltungsprogramm zur Verfügung, nebenbei gesagt ein gutes Beispiel für die enge Kooperation mit unserem TU-Rechenzentrum. Dabei unterstützt die Bibliothek die Nutzerinnen und Nutzer bei Fragen zur Anwendung. Ein großartiges Programm, mit dem sie den spezifischen Zitierstil einer Zeitschrift auswählen und den eigenen Aufsatz formatgerecht erstellen können. (Wird das Manuskript abgelehnt, lässt sich mit einem Tastendruck der Zitierstil entsprechend dem eines neuen Journals umstellen.)

Gehört das zum mittlerweile normalen Alltag der TUB-Mitarbeitenden?

Hapke: Unbedingt. Zum Beispiel spielen Tätigkeiten wie die Ausleihe eines Buches im Arbeitsalltag nur noch eine untergeordnete Rolle, dennoch ist ein gut funktionierender Service für die Ausleihe wichtig – RFID* und Selbstverbucher entlasten uns dabei von Routineaufgaben. Anfragen beziehen sich heute neben den oben genannten Aufgabenfeldern meist zur Nutzung von digitalen Medien. Das erfordert vielfach besonderes Fachwissen im Detail und vor allem auch Arbeitszeit. Der Generationenwechsel in der Bibliothek ermöglichte uns in den letzten 2 Jahren speziell für diese veränderten Aufgabenprofile junge Bibliothekare einzustellen, um damit eine personelle Verstärkung bei der Entwicklung und Bereitstellung digitaler Services zu gewinnen. Flache Hierarchien und eine besondere Informationskultur fördern dabei den internen Austausch und die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Feldsien-Sudhaus: Unser Ziel ist es, neue Entwicklungen in Forschung und Lehre an der TUHH, aber auch im Bibliothekswesen und der IT-Welt aufzugreifen, um daraus für unsere Nutzerschaft passende Services zu entwickeln. Im Grunde lässt sich sagen: Wir, die Bibliothek, passen gut zu unserer Technischen Universität. In bestimmten Bereichen ähneln wir einem Testlabor. Wir prüfen innovative Ideen auf ihre Umsetzbarkeit, vieles bleibt dann im Regelbetrieb bestehen, wie z.B. die Suchmaschine TUBfind, manchmal verklappen wir aber auch diese Ideen. Es ist eine spannende Aufgabe, die unterschiedlichen Ansprüche, Kompetenzen und Erfahrungen zu bündeln, damit das Ergebnis die bedarfsgerechte TU-Bibliothek ist.

Info
1991 zog die TU Bibliothek (TUB), die ein Jahr nach der TUHH im Jahre 1979 gegründet wurde, in die Mitte des Campus neben die Mensa. Waren es anfangs vor allem gedruckte Bücher und Zeitschriften im Bestand, liegt der Anteil der digitalen Medien am jährlichen Medienetat mittlerweile bei über 70 Prozent. Dabei wird es nicht einfacher eine Bibliothek zu leiten, denn immer mehr Aufgaben gilt es zu bewältigen. Da ist einerseits die fortschreitende Digitalisierung - andererseits der Versuch, im richtigen Moment den Studierenden und auch der Wissenschaft die notwendige Unterstützung zu geben.

---
*RFID (“radio-frequency identification”) ermöglicht die Identifizierung von Medien mit Hilfe von Radiowellen. Verbuchungsvorgänge beim Ausleihen und Zurückgeben von Medien gelingen damit schneller und komfortabler. Dies betrifft sowohl die Selbstbedienung als auch die Verbuchung durch das Bibliothekspersonal.

Text: Martina Brinkmann


Erfahrungsräume für's Lernen und wissenschaftliche Arbeiten

“Es wird nicht mehr entscheidend sein, was man weiß, sondern wie gut man Wissen finden, einordnen und vernetzen kann“, so Prof. Dr. Sönke Knutzen. TUHH-Vizepräsident Lehre. Ganz in diesem Sinne engagiert sich die Bibliothek mit ihren Aktivitäten zur besseren Nutzung der verschiedenen Informationsquellen und zur Förderung der Informationskompetenz der Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer. Immer wichtiger werden dabei Antworten auf Fragestellungen der Literaturverwaltung, des richtigen Zitierens und der Problematik von Plagiaten.

Erstmalig unter der Federführung der TU-Bibliothek fand im WS 2013/14 ein Seminar mit dem Titel „Wissenschaftliches Arbeiten“ statt. Bei der Durchführung wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek durch Kolleginnen vom Servicebereich Lehre und Studium, dem Institut Arbeit-Gender-Technik und einer externen Dozentin unterstützt. Die Lehrveranstaltung bot eine Hinführung zu den vielfältigen Aspekten wissenschaftlichen Arbeitens. Anregungen zum Nachdenken über eigene Lern-, Informations- und Schreibprozesse – ergänzt durch praktische Empfehlungen und Tipps – sollten den Einstieg in die Erstellung von Bachelor- und Masterarbeiten erleichtern. Die Veranstaltungskonzeption forderte aktive Mitarbeit während des Semesters und wurde mit zwei ECTS-Punkten bewertet. Die Nachfrage war wesentlich größer als das vorhandene Platzangebot. Das Seminar wird zukünftig in jedem Semester angeboten.

Thomas Hapke