Wagen wir den Blick in die Zukunft: Urbane Lebensräume haben deutlich an Qualität gewonnen. Die Luft im Park ist besser, Autoabgase gibt es nicht mehr. Die Temperatur ist angenehm, denn es werden weniger Parkplätze als früher benötigt, sodass mehr Platz für Grünflächen bleibt, die das Klima besser regulieren. Auf den Straßen sind vor allem autonome Fahrzeuge unterwegs: Busse, Taxis, Lieferdienste, Autos. Der Verkehr ist dicht, aber er fließt zügig. Wie ist das möglich? Daran, dass dieses Szenario wahr werden kann, arbeitet seit Januar Prof. Alexander Kölpin in einem massiven, interdisziplinären Projekt, das seinerseits wiederum Teil einer noch viel größeren Hamburger Tech-Offensive ist. Aber der Reihe nach.
Pioneer_6G, das von Prof. Kölpin koordinierte Projekt, hat zum Ziel, mithilfe neuartiger Mobilfunktechnik den Verkehr in urbanen Quartieren zu optimieren. „Je besser und schneller autonom gesteuerte Fahrzeuge miteinander kommunizieren, desto flüssiger der Verkehr“, erklärt Kölpin. „Aber den Sensorhorizont jedes Fahrzeugs ausschließlich mittels Car-2-Car-Kommunikation zu vergrößern, ist zu langsam. Besser wäre eine dezentrale Berechnung für alle Fahrzeuge in der Umgebung, angebunden über extrem schnellen und zuverlässigen Mobilfunk.“ Das Problem: Je weiter Auto (oder Handy) vom Mast entfernt sind, desto schlechter das Netz, und desto langsamer und unzuverlässiger der Datenverkehr.
Im aktuellen 5G-Netz ist ein Sender stets mit einer Funkzelle verbunden. Gehe ich beim Telefonieren spazieren, dann wechselt das Handy nach einiger Zeit die Funkzelle. Kölpins Idee für 6G besteht darin, für jeden Sender punktgenaue Funkspots nachzuführen. Das spart Energie und erhöht zugleich Zuverlässigkeit und Datendurchsatz. Benötigt würden jedoch zahlreiche kleine Antennen. Sie ermöglichen eine sehr genaue Ortung der Sender, weil so die Zeitunterschiede im Eintreffen an Referenzpunkten verglichen werden können. Diese Methode heißt „Trilateration“.
Schallwellen eines Orchesters
Die Kernidee für Kölpins Projekt und den möglichen neuen 6G-Standard stammt aus der Akustik: Weil alle Wellen die gleichen physikalischen Eigenschaften haben, funktioniert Trilateration auch mit Musikinstrumenten. Bei der akustischen Wellenfeldsynthese wird beispielsweise ein Orchester von einer großen Anzahl Mikrofone an den Wänden eines Raums aufgenommen. Je nach Entfernung zu den einzelnen Instrumenten erreicht der Schall die Mikros Bruchteile von Sekunden früher oder später. Wird die Aufnahme nun aus ebenso vielen Lautsprechern mit eben diesen gemessenen Verzögerungen wiedergegeben, scheint das Orchester akustisch präzise im Raum verortet wie zuvor – auch wenn die Musiker*innen längst nach Hause gegangen sind. Das konnte Alexander Kölpin im Akustiklabor der Uni Erlangen erleben, als er dort habilitierte.
Aus dieser Erfahrung entstand nun für Pioneer_6G die Idee, auf dieselbe Weise durch elektromagnetische Wellenfeldanalyse zentimetergenau bestimmen zu lassen, wo ein Verkehrsteilnehmer oder eine Verkehrsteilnehmerin sich befindet. Ein neuer Funkstandard könnte mit demselben Prinzip wie im Beispiel der Akustik den bestmöglichen Empfang genau dorthin steuern. Die Funkverbindung wäre dann nicht mehr an eine feste Zelle gebunden, sondern bewegt sich dynamisch mit der Nutzerin oder dem Nutzer die Straße entlang. So würde es möglich sein, zuverlässig sehr viele Daten in kurzer Zeit zu übertragen, den optimalen Verkehrsfluss zu berechnen und jedem Fahrzeug nur die Infos zurückzuspielen, die es benötigt.
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