Name, Vorname: Behlau, Lothar
Nationalität: Deutsch
Stadt, Land: München, Deutschland
Studiengang/Abschluss: Verfahrenstechnik/Dipl. Ing.
Studium: 1982-85
Arbeitgeber/Position: Fraunhofer Gesellschaft, Leiter der Abteilung Agenda Fraunhofer 2022
Er hatte die Matrikelnummer 1 und gehörte 1982 zu den ersten fünf Studierenden der Verfahrenstechnik an der TUHH. Für sie fand die Vorlesung auch mal im Büro des Profs statt, einen Campus gab es nicht, die Mensa war die Kantine der benachbarten Steuerbehörde und sie waren in Harburg bekannt wie bunte Hunde.
Dr. Behlau, wie sind Sie überhaupt auf diese neue TU aufmerksam geworden?
1982 wurde die Lehre an der TUHH aufgenommen, und zwar mit dem Hauptstudium der Verfahrenstechnik, das heißt, es mussten ein Uni-Vordiplom oder adäquate Leistungen vorgewiesen werden. Und da es damals noch kein Internet gab, wurde diese Ankündigung über sehr „normale“ Pressekanäle publiziert. Ich habe davon erfahren, weil in meinem Studentenwohnheim ein Student eine Kurznachricht aus dem Hamburger Abendblatt ausgeschnitten und an die Pinnwand in der Küche geheftet hatte…
Wie war das, die erste Studierendengruppe an der TUHH zu sein?
Aufgrund der limitierenden Kriterien gab es nur eine sehr eingeschränkte Zahl von Bewerbern. Das waren meist Absolventen der Fachhochschule Hamburg, denen dann manchmal noch zusätzliche Vorlesungen auferlegt wurden, um ein Äquivalent zum Vordiplom nachzuweisen. Wir fingen also nach einer ersten Auslese mit fünf Studierenden an, nach ein paar Monaten waren wir dann nur vier, die dann alle das Diplom erreichten. Wir fühlten uns nicht als Studierendengruppe, sondern eher als ein etwas exotisches Grüppchen (von FH-Absolventen) an einer TU, an der zu 99,7 Prozent geforscht wurde.
Wie war das Studentenleben an und außerhalb der TUHH?
Einen Campus im Sinne eines Areals, auf dem es vor Studierenden wimmelt, gab es natürlich nicht. Es gab das große Hauptgebäude an der Eißendorfer Straße und eine alte Wäscherei, von der die oberen Räume für ein paar Doktoranden angemietet wurden. Unsere „Mensa“ war die Kantine einer Steuerbehörde ein paar hundert Meter entfernt. So mussten wir uns hinsichtlich eines studentischen Milieus selbst genügen. Es gab auch keine studentischen Teilnahmen in den Organen der TU. Auf der anderen Seite hatte unsere exotische Situation natürlich auch etwas Gutes: Wir bekamen eine äußerst persönliche Betreuung durch die lehrenden Professoren, die – trotz der geringen Studierendenzahl – sehr motiviert und ernsthaft ihre Vorlesungen gehalten haben. Auch die Assistenten zeigten viel Einsatz bei den Praktika (die sie ja nur wegen uns erfinden mussten). Diese Sonderrolle entschädigte für den Aufenthalt in einer ansonsten lehrleeren TU. Nach einiger Zeit waren wir als Grüppchen dann auch bekannt wie bunte Hunde…
Können Sie sich an die Atmosphäre in Harburg erinnern?
Wie gesagt, an der TU gab es am Anfang kein Studentenleben. Auch als ein Jahr später reguläre Studiengänge starteten, gab es noch keine studentische Szene, weder an der TU noch in Harburg, weil die meisten Studierenden auch von überallher pendelten und nur wenige in Harburg wohnten. Und Harburg war damals natürlich keine Universitätsstadt. Ich bin in der Nähe von Hamburg geboren (Pinneberg) und hatte in Bergedorf an der Fachhochschule studiert und auch dort gewohnt und bin später nach Harburg gezogen. Harburg hatte damals eher den Ruf einer Arbeiterstadt. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, aber es gab natürlich (noch) kein studentisches Milieu. Ich hatte in Nebentätigkeit als Redakteur für die Lokalbeilage des Hamburger Abendblattes über die TU-Entwicklung berichtet (u.a. später auch in einer Fortsetzungsreihe erklärt, was die neu aufgenommenen Studiengänge Verfahrenstechnik, Städtebau, Maschinenbau beinhalteten). Man hatte in Harburg durchaus einige Vorbehalte, was die TU dem Ort bringen würde. Auch Kneipenbesitzer hatte ich interviewt, ob sie denn froh wären, wenn hier bald viele Studierenden leben würden… das konnten sie sich damals nicht vorstellen. Ich hoffe, das hat sich inzwischen geändert… Aber natürlich gab es in Harburg alles, was ein Studierender braucht, billige Wohnungen, Kneipen, guten Verkehrsanschluss nach Hamburg etc. Ich war froh, auch diesen Teil von Hamburg kennengelernt zu haben.
Was nutzen Sie aus dem Studium für Ihren Beruf?
Die Verfahrenstechnik-Ausbildung war aus meiner heutigen Sicht exzellent. Trotz des kleinen Semesters hatten die Professoren das Ziel, für die TUHH einen hohen Standard zu setzen. Heute bin ich im Bereich des Forschungsmanagements tätig und brauche immer wieder auch profunde Ingenieurkenntnisse aus dieser Zeit zur Beurteilung von Forschungsprojekten. Zum Glück vermittelt die Verfahrenstechnik ein breites Verständnis der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die damalige hohe Intensität der Betreuung hat durchaus Spuren hinterlassen, weil man eben zu dritt oder viert permanent aufmerksam sein musste.
Wie müssen sich Ihrer Meinung nach die Technischen Universitäten in Zukunft aufstellen?
Neben dem soliden Kompetenzaufbau in einer Disziplin sollte besonders die Vernetzungsfähigkeit mit anderen Disziplinen bereits während des Studiums geübt werden. Als Studierender überblickt man mit einem TU-Studium einen immer kleineren Teil des Gesamtsystems und deshalb muss die Anschlussfähigkeit mit anderen Disziplinen aufgebaut werden (auch mit den Gesellschaftswissenschaften). Diese Methodenkompetenz ist teilweise genauso wichtig wie die originäre Fachkompetenz.
Die TUs sollten ihren Beitrag und ihre Verantwortung für die Gesellschaft deutlich machen: Inwiefern trägt eine TU mit ihrer Lehre und vor allem ihrer aktuellen Forschung direkt zu den drängendsten Problemen der Menschheit bei? Diese Sinnstiftung sollte Teil der internen Diskussion an jeder TU sein. Ein Nachhaltigkeitsbericht wäre dafür ein erster Schritt.