Christian Herzog

Name, Vorname: Herzog, Prof. Dr. Christian
Nationalität: deutsch
Stadt, Land: Lübeck, Deutschland
Studiengang/Abschluss: B.Sc. Allgemeine Ingenieurwissenschaften, M.Sc. Mechatronics, Phd Regelungstechnik, M.A. Applied and Professional Ethics
Abschlussjahr: 2011, 2014, 2015
Arbeitgeber und Position: Universität zu Lübeck, Professor für Ethische Rechtliche und Soziale Aspekte der Künstlichen Intelligenz

"Ich konnte mich als transdisziplinärer Forscher verwirklichen"

Warum haben Sie sich damals für dieses Studium an der TU Hamburg entschieden?
Mich haben komplexe technische Geräte und Systeme stets als Ganzes interessiert. Darum wollte ich Teilsysteme und Zusammenspiel gründlich verstehen und gestalten können — das hieß für mich „Mechatronik“. Die TUHH als Universi-tät hatte mich initial vor allem angesprochen, weil sie mir wissenschaftliche Exzellenz wie auch örtliche Nähe geboten hat. Bei einem kurzen Besuch hatten mich der schön gelegene kompakte Campus und die spannenden Vorträge der Professor*innen in ihren Bann gezogen.  

Wie würden Sie den Charakter der TU Hamburg in drei Eigenschaften beschreiben?
Ich würde sagen, dass die TUHH durchaus eine familiäre Atmosphäre ausstrahlt, ausgeprägten internationalen Charme mit sich bringt — allerdings auch stark leistungsorientiert operiert. Während ich die ersten beiden Aspekte durchweg positiv bewerten würde — ich durfte bereits in den ersten Semestern viel mit diversen und multikulturellen Kommiliton*innen studieren und konnte viele Professor*innen direkt sprechen und kennenlernen —, habe ich die Leistungsbezogenheit nicht immer als förderlich empfunden. Zuweil wurde Leistung zu eindimensional eingefordert. Meiner Meinung nach sehr talentierte Kommiliton*innen scheiterten oder scheiterten fast an der Technischen Mechanik im zweiten Semester. Ein ganzheitlicheres Leistungsverständnis und eine wert-schätzendere Kultur erlebte ich erst in höheren Semestern.

Wie ging es nach dem Studium weiter?
Im Rahmen der Blue Engineering AG, die ich an der TU Hamburg mitbegründete, boten wir Veranstaltungen und auch Lehrformate von Studierenden für Studierende zur sozialen und ökologischen Verantwortung von Ingenieur*innen an. Als ich 2015 als Postdoc an das Institut für Medizinische Elektrotechnik an die Universität zu Lübeck wechselte, um dort an Inferenzalgorithmen zu forschen, vermisste ich schnell diese sozioethische Dimension in meiner Lehrtätigkeit. In Lübeck standen mir alle Türen offen und über die Zeit transformierte sich auch meine Forschungstätigkeit. Seit 2020 darf ich den Ethical Innovation Hub als Brücke zwischen den Geistes- und Technikwissenschaften leiten und mich wis-senschaftlich als transdisziplinärer Forscher verwirklichen.

Was genau erforschen Sie und wie verändern Sie die Welt damit?
Als Hybrid zwischen Ingenieur und Ethiker bin ich davon überzeugt, dass eine ethisch reflektierte, wertebasierte Entwicklungsarbeit die meisten Innovationen im Kern antreibt. Diese Reflexionsleistung muss jedoch unterstützt werden. Wir müssen lernen, über Werte zu kommunizieren und streiten zu können. Insbesondere die Anwendung der Künstlichen Intelligenz in der Medizin und der öffentlichen Verwaltung stellt uns vor neue Herausforderungen, eine menschliche, individuelle Perspektive und Entscheidungshoheit zu bewahren und gleichzeitig Prozesse nicht nur effizienter, sondern vor allem effektiver zu machen. Ich setze mich dafür ein, herauszuarbeiten, worin der Wert menschlicher Interaktion, Arbeit und individueller Werteorientierung liegt, um diese zu bewahren und zu stärken.

Was ist Ihr Rat an jetztige Studierende und Absolvent*innen?
Mein Rat wäre, dass sich die Studierenden in ihrem Denken nicht nur auf zu erbringende Leistungen konzentrieren sollen. Stattdessen ist es sehr lohnenswert, weit über den Tellerrand hinauszuschauen. Ich glaube, die Beschäftigung mit Kultur, Geist, Körper und dem Menschsein selbst macht uns zu besseren Ingenieur*innen. 

Ich würde gerne mal einen Tag tauschen mit …
... Johny Pitts, um einen konkreten Namen zu nennen. Er ist Autor von „Afropäisch“, welches mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung ausgezeichnet wurde. Er beschreibt auf nahbare und geerdete Weise, was es heißt, „schwarzer Europäer“ zu sein. Das lässt sich sinnbildlich für unsere Herausforderung als Gesellschaft verstehen, unterschiedliche kulturelle Identitäten zu respektieren und gleichzeitig ein Gemeinschaftsgefühl erlebbar zu machen.  

Was würden Sie einen allwissenden Forscher oder eine all-wissende Forscherin aus der Zukunft fragen?
Ich würde fragen, was er oder sie glaubt, was die Gesellschaft dazu veranlassst, Forschende für allwissend zu halten.

Wenn Sie Präsident der TU Hamburg wären …
… würde ich mich intensiv der Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft widmen. Es klafft zunehmend ein Abgrund zwischen Industrie und Akademie, den es so nicht geben muss. Stattdessen könnten Universitäten hier die Avantgarde sein. Die TUHH ist allerdings ansonsten exzellent geführt. Ich weiß also nicht, ob es wünschenswert wäre, dass ich mit meinem Erfahrungsstand schon Präsident wäre.