Laufende Promotionsprojekte
Anna Köster-Eiserfunke:
Care-Praxen und Pflege-Arrangements in translokalen Familien
Ich meinem Dissertationsprojekt untersuche ich Care-Praxen und Pflege-Arrangements in translokalen Familien. Hierunter fasse ich Familien und Sorgegemeinschaften deren Mitglieder – zumindest bis zur einsetzenden Hilfe- und Pflegebedürftigkeit der älteren An- und Zugehörigen – nicht im gleichen Ort oder Land leben bzw. in denen die Alltagsunterstützung durch eine geographische Distanz erschwert bis unmöglich ist.
Aufgrund zunehmender (beruflicher) Mobilität kommt multilokalen und transnationalen Familien eine wachsende Bedeutung zu, was mit der Entwicklung neuer familiärer Formen und Praxen einhergeht (vgl. Schneider et al. 2002; Bertram und Ehlert 2011). Die Subjekte sehen sich hierbei mit widersprüchlichen Anforderungen und Anrufungen konfrontiert. Einerseits werden sie angerufen dem Arbeitsmarkt mobil und flexibel zur Verfügung zu stehen und insbesondere ärmere Bevölkerungsschichten sind auch auf das Einkommen aller erwerbsfähigen Personen angewiesen. Andererseits sichert die Pflegeversicherung als Teilkasko-Versicherung die Pflege älterer Familienmitglieder nicht vollumfänglich ab, sondern baut im Sinne einer Familiensubsidiarität auf die Arbeitskraft und/oder die finanziellen Ressourcen der persönlichen und familiären Netzwerke. Zusätzlich fordern – geschlechtlich kodierte – Diskurse zur familiären Solidarität und Pflegeübernahme auf (vgl. Aulenbacher et al. 2014; Leitner 2013; Winker 2015). Mit der Auslagerung von Pflegearbeit an migrantische Haushaltshilfen hat sich in Familien mit entsprechenden Ressourcen in dieser Situation eine Umgangsweise etabliert, welche das deutsche Altenpflege-Regime mittlerweile transnationalisiert hat und Care-Lücken externalisiert (vgl. Lutz 2007; Aulenbacher et al. 2014). Doch derartige Pflege-Arrangements werden nicht von allen angestrebt und stehen auch nicht allen offen.
Mitglieder translokaler Familien stehen also vor der Herausforderung Pflege und Unterstützung für ihre älteren An- und Zugehörigen zu gewährleisten (oder sich aktiv davon abzugrenzen), obwohl die alltägliche Unterstützung durch eine geographische Distanz erschwert wird. Ihre Möglichkeitsräume werden durch strukturelle Rahmenbedingungen des Altenpflege-Regimes sowie vielfältig miteinander verwobene Machtverhältnisse geprägt. Mit einer, von Pierre Bourdieu inspirierten, praxeologischen Forschungsperspektive untersuche ich Praxis als herrschaftlich strukturiertes aber auch kreatives Handeln, welches in vielfältige Verhältnisse sozialer Ungleichheit eingebunden ist (vgl. Bourdieu 2012; Meier 2004).
Mittels einer subjektzentrierten „intersektionalen Mehrebenenanalyse“ im Anschluss an Winker/Degele (2009) frage ich, mit welchen Care-Praxen und in welchen Pflege-Arrangements sich Personen in translokalen Familien um ihre älteren, hilfe- und pflegebedürftigen Zugehörigen kümmern; aber auch wie gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse in ihren Praxen und Möglichkeitsräumen wirken. Dabei stütze ich mich auf einen weiten Care-Begriff, der Formen der kognitiven, praktischen/instrumentellen oder emotionalen/affektiven Unterstützung, der direkten körperlichen Pflege, des Pflege-Managements sowie indirekter Hilfen umfasst (vgl. Brückner 2010; Zeman 2005). Dementsprechend kann festgestellt werden, dass Unterstützung und Care von An- und Zugehörigen zumeist auch dann noch geleistet wird, wenn ambulante Pflegedienste, migrantische 24 Std.-Betreuerinnen oder stationäre Unterbringungen das Care-Arrangement prägen. Abschließend fragt die Arbeit, welche Rückschlüsse aus den Untersuchungsergebnissen auf die Strukturierung des deutschen Altenpflege-Regimes und die Re/Produktion sozialer Ungleichheiten im Regime möglich sind.