Schon heute ist zu erkennen, dass mit steigendem Anteil der Erneuerbaren Energien (EE) an der Stromerzeugung der Regelaufwand, v.a. für Regelleistung und Redispatch, immer weiter zunimmt. Grund dafür ist die Sensibilität eines elektrischen Systems besonders gegenüber Abweichungen von Erzeugung und Verbrauch. Dies liegt daran, dass im elektrischen Netz kaum Pufferwirkung vorliegt: Bei kleinen Abweichungen der gelieferten und entzogenen Leistung verändert sich die Frequenz, die aber zur Sicherung der Netzstabilität in einem engen Bereich liegen muss. Gerade bei sehr hohen EE-Anteilen sind somit große Stabilitätsprobleme zu erwarten. Eine Lösung ist die Kopplung des Stromsektors mit dem Wärme- und Gassektor. Diese beiden Bereiche verfügen über entsprechende Pufferwirkungen und reagieren wesentlich langsamer auf Störungen als der Stromsektor. Besonders die vorhandene Gasinfrastruktur mit ihren Leitungen und Speichern bietet viel Potenzial für die Entlastung des Stromsektors. Die Kopplung der drei Sektoren ist jedoch komplex: Jeder Sektor hat unterschiedliche Verbraucher, Erzeuger und Speicher, wobei die Bereiche mit verschiedenen Sektorkopplungstechnologien miteinander verbunden werden können, siehe Abbildung 1. Diese Komplexität fordert einen interdisziplinären Ansatz, v.a. zwischen Thermodynamik und Elektrotechnik, welcher in diesem Projekt verfolgt wird.
Abbildung 1: Darstellung der drei Sektoren (schwarz) mit Erzeugern (blau), Umwandlungstechnologien (rot), Speichern (grün) und Verbrauchern (gelb) (PtG: Power-to-Gas, GT: Gasturbine, GuD: Gas- und Dampfkraftwerk, GuD-KWK: Gas- und Dampf-Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, BHKW: Blockheizkraftwerk, FC: Brennstoffzelle, PtH: Power-to-Heat, GHD: Gewerbe, Handel und Dienstleistungen)
Für die Aufgabe, die Erneuerbaren Energien in das bestehende Energiesystem zu integrieren, gibt es viele verschiedene Lösungen. Da vor allem die Stabilität des Systems bzw. die Versorgungssicherheit ein wichtiges Kriterium ist, sollen wirtschaftliche Lösungen gefunden werden, die die Resilienz des Systems im Vergleich zu einer rein ökonomisch getriebenen Integration steigern. Mit Resilienz ist dabei die Fähigkeit eines Systems gemeint, nach einer lokalen Störung die Funktion weiterhin aufrecht zu erhalten. Dafür werden verschiedene Szenarien untersucht, in denen verschiedene Störungen auftreten, wie z.B. der Ausfall einer oder mehrerer Netzkomponenten oder extreme Wetterbedingungen, wobei die jeweilige Reaktion des gekoppelten Energiesystems analysiert wird. Somit soll eine Nachweismethodik für die Zuverlässigkeit zukünftiger Energieversorgungssysteme entwickelt werden, mit der verschiedene Veränderungen im System bewertet werden können.
Im Projekt ResiliEntEE soll die im Vorgängerprojekt TransiEnt.EE erstellte Bibliothek TransiEnt Library weiterentwickelt werden. Diese Bibliothek ist programmiert in der Sprache Modelica®, open-source, vollständig einsehbar, erweiterbar und bereits in mehreren Forschungsprojekten in Nutzung. Sie ist dafür geeignet, dynamische Simulationen von gekoppelten Energiesystemen durchzuführen und die Ergebnisse hinsichtlich CO2-Emissionen und Kosten zu analysieren. Bisher lag der Fokus vor allem auf der Integration der Erneuerbaren Energien. Nun soll die Bibliothek bezüglich der Resilienzbetrachtung erweitert werden. Besonders das elektrische Netz und die Anbindung der einzelnen Komponenten an dieses sowie die Weiterentwicklung einzelner Bestandteile stehen dabei im Fokus. Des Weiteren ist eine geeignete Regelung für das gesamte System zu entwerfen, welche sowohl die Einsatzplanung von Erzeugern und Speichern als auch die Regelleistungsbereitstellung und Redispatchmaßnahmen sowie Reaktionen auf Störungen beinhaltet.
Aufgrund der Komplexität der Systeme kann es je nach Fragestellung und geographischem Rahmen dazu kommen, dass sehr hohe Rechenzeiten auftreten. Um diese zu verringern, sollen Verfahren der Modellreduktion geprüft und angewandt werden. Dabei werden im Allgemeinen in Abhängigkeit von der Fragestellung Variablen vernachlässigt, die nur einen kleinen Einfluss auf die Zielgröße haben.
In TransiEnt.EE wurde das Energiesystem von Hamburg betrachtet. In ResiliEntEE wird das System stückweise bis auf Norddeutschland vergrößert und dabei mit verfügbaren Daten validiert. Das Energiesystem soll mit verschiedenen Anteilen von Erneuerbaren Energien (60 %, 80 %, 100 %) in den Sektoren Strom, Wärme und Gas versorgt werden, wobei der nicht-Erneuerbare Anteil durch Gas bereitgestellt wird. Der Aufbau des Energiesystems hängt dabei von der Art des Szenarios ab: Es gibt ein dezentral- und ein zentral-orientiertes Szenario, bei denen vor allem viele kleine bzw. wenige große Erzeuger und Verbraucher und deren Einfluss auf die Resilienz untersucht werden. Im Szenario „Netzentwicklungsplan 2025“ wird die geplante Netzstruktur der Netzentwicklungspläne untersucht und es werden sinnvolle Anpassungen vorgeschlagen, um die Resilienz zu verbessern.
Insgesamt sollen folgende Fragen beantwortet werden:
Das Projekt wird von einem Forschungsbeirat begleitet, der aus Mitgliedern verschiedener Akteure im Energiesystem besteht. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 03ET4048 vom 01.09.2017 bis zum 28.02.2021.
Anne Senkel, M.Sc.
Carsten Bode, M.Sc.