"Umwelt hat Geschichte" war das Motto des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespraesidenten im Jahre 1987. Damit wurde die Öffentlichkeit erstmals umfassend auf die historischen Dimensionen des Umweltproblems aufmerksam gemacht.(1) Seitdem hat die neue Disziplin "Umweltgeschichte" auch in Wissenschaft und Forschung weiterhin an Boden gewonnen. Dies ist jedenfalls erkennbar an der wachsenden, auch mit dieser Ausstellung dokumentierten Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema, sogar eigene Fachzeitschriften (2) und wissenschaftliche Gesellschaften (3) existieren schon.
Diese Ausstellung soll Anregungen bieten zum Weiterlesen und -forschen, ohne eine genaue Begruendung, Abgrenzung und Definition von Umweltgeschichte als Disziplin zu bieten. (4) Die TeilnehmerInnen des Schuelerwettbewerbs haben bewiesen, dass es nicht nur fuer die professionellen Historiker noch viel Raum zum "Spuren suchen" gibt. (5)
Eines der treffendsten und betroffen machenden Zitate zum Thema "Umweltgeschichte" findet sich in einem Ausstellungskatalog zum Thema Asbest, der gleichzeitig eine gelungene Fallstudie zum Thema ist. Zitiert wird in diesem Katalog aus einem Aufsatz von Sven Lindquist:
"So lebt die Geschichte weiter in den Koerpern lebendiger Menschen. Dort liegt sie auf der Lauer, und zuletzt toetet sie. Wenn man den toten Koerper oeffnet, findet man die letzten Reste der Luft, die die Menschen in den Fabriken und Arbeiterwohnungen der dreissiger, vierziger und fuenfziger Jahre atmen." (6)
Ein Studium der Quellen wird nicht den voreiligen Schluss erlauben: "Umweltverschmutzung, das war schon immer so". Trotzdem gilt, wie Radkau schreibt: "Ob bei Emissionsschaeden heute oder vor hundert Jahren: Immer gibt es einzelne Warner, die die Dinge beim Namen nennen; industrielle Interessen, die die Warnungen bagatellisieren und Gegen-Expertisen ins Feld fuehren; hilflose Buerokraten, die sich winden und im Zweifelsfall an der Macht orientieren; Arbeiter, die aus Gewohnheit und im Interesse der Sicherung ihrer Arbeitsplaetze indifferent gegen ueber den Risiken sind; eine OEffentlichkeit, die zwar gelegentlich aufmerkt, aber bald wieder durch vieles andere abgelenkt wird..." (7) Gleichwohl waere es denkbar, dass historisch fundierte Vergleiche derartiger Situationen mit der Gegenwart eine handlungsorientiertere Politik ermoeglichen.
Faszinierend ist auch ein Beispiel zu nennen, in dem ein Umweltproblemen aufgeschlossener Chemiker wie Clemens Winkler Ende des letzten Jahrhunderts ein Problem aufwirft und aus der Sicht seiner Zeit als nicht relevant beiseite schiebt, ein Problem, das heute wieder hochaktuell ist, den Treibhaus-Effekt:
"Wirkt die in unserem Zeitalter stattfindende Massenverbrennung von Steinkohle veraendernd auf die Beschaffenheit der Atmosphaere. Vortrag, gehalten beim Zweiten Allgemeinen Deutschen Bergmannstage in Dresden 1883." (8)
Winkler Hauptverdienst als Analytiker ist es, Robert Bunsens Methoden der exakten Gasanalyse fuer technische Zwecke ausgebaut zu haben und damit eine Analyse der Luftverschmutzung durch industrielle Gase ueberhaupt erst zu ermoeglichen. Es waere interessant zu untersuchen, welche Wechselwirkungen es zwischen Analytik und Umweltverschmutzung gab im Zuge der "Erweiterung des Methodenarsenals der Analytischen Chemie im Verlaufe des letzten Jahrhunderts". (9)
Eines der Bücher, das Anfang der sechziger Jahre einen ersten Finger auf die offenen Wunde der wachsenden Umweltverschmutzung legte, war der zum Klassiker gewordene "Silent Spring" der Biologin Rachel Carson:
Rachel L. Carson: Der stumme Fruehling. Muenchen: Biederstein, 1962.
Weitere Klassiker finden sich in:
Classics in environmental studies : an overview of classic texts in environmental studies /Nico Nelissen ... (Eds.) Utrecht: International Books, 1997.
Signatur: USU-700
Weitere Quellen in der TUHH zur Umweltgeschichte dieses und des letzten Jahrhunderts bieten der Katalog zu einer Ausstellung des letzten Jahres in der Universitätsbibliothek der TUHH:
Gerd Spelsberg: Rauchplage : hundert Jahre saurer Regen. Aachen: Alano, 1984.
Signatur: 2432-722
Peter Brimblecombe : The big smoke : a history of air pollution in London since medieval times. London: Methuen, 1987.
Signatur: 2449-324
Thomas Kluge, Engelbert Schramm: Wassernoete. Aachen: Alano, 1986.
Signatur: 2447-827
Bill Luckin: Pollution and control : a social history of the thames in the nineteenth century. Bristol: Hilger, 1986.
Signatur: 2444-979
Christopher Hamlin: A science of impurity : water analysis in 19. century Britain. Bristol: Hilger, 1990.
Signatur: 2704-513
Eine besondere Art von historischer Umweltforschung sei hier nur am Rande erwaehnt: Der amerikanische Archaeologie-Professor William Rathje graebt im Muell, um zu neuen Einsichten ueber die Wegwerfgesellschaft zu kommen.(10)
Aktuelle Literatur zur Geschichte des Umweltschutzes aus dem Online-Katalog der TUHH
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2 Environmental History Review (Newark, NJ) oder Environmental History Newsletter (Mannheim) 1(1989)-
Signatur: USU-102
Die Zeitschrift "Technikgeschichte", Signatur: TEZ-900, enthaelt ebenfalls regelmaessig Aufsaetze zum Thema.
3 American Society of Environmental History und European Association for Environmental History
4 Fuer solche Fragestellungen siehe z.B.
6 Zitiert in: z.B. Asbest : ein Stein des Anstosses : kulturelle und soziale Dimensionen eines Umweltproblems. Berlin-Neukölln: Heimatmuseum, 1990. Hier: S. 13.
Signatur: 2731-338
7 Radkau, a.a.O., S. 18
8 Clemes Winkler's Vortraege und Abhandlungen ueber Abgase und Rauchschaeden / hrsg. v. O. Brunck. Heft 8 der Sammlung von Abhandlungen ueber Abgase und Rauchschäden / hrsg. v. H. Wislicenus. Hier: S. 62-68. In: Waldsterben im 19. Jahrhundert : Sammlung von Abhandlungen ueber Abgase... Reprintausgabe. Duesseldorf: VDI-Verl., 1985.
Signatur: 2433-542
9 Klaus Danzer: Chemometrik - Theoretische Basis der Analytischen Chemie. In: Mitteilungsblatt. Gesellschaft Deutscher Chemiker. Fachgruppe Analytische Chemie 4'92. S. M104-M110. Hier: S. M106
10 Vergleiche: Der Spiegel 18/1992, S. 198