Populärer und einprägsamer als diese komplexe Definition der Chemie im wichtigsten Chemie-Fachlexikon sind Definitionen aus Schülermund, wie "Physik ist, wenn es nicht gelingt; Chemie ist, wenn es kracht und stinkt". Moderner und leider zeitgemässer sind folgende chemiebezogene Zweizeiler:
"Schwimmt Chemie im Wasserkübel wird sogar dem Wasser übel oder: Lieber Liebe als Stickoxide". (2)Diese Ausstellung zeigt anhand von Beständen aus Privatbesitz und der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Hamburg-Harburg, wie sich die Popularisierung der Chemie in der chemischen Literatur manifestierte. Facettenartig werden die verschiedenen Spielarten populärer Chemie-Literatur in ihrer Entwicklung dargestellt. Dabei sollen die Auswirkungen, welche die Entwicklung der Wissenschaft auf die populärwissenschaftliche Chemie-Literatur hatte, deutlich werden, aber auch gesellschaftliche Einflüsse sollen gestreift werden. Angegebene Signaturen beziehen sich auf die Buchstandorte in der Universitätsbibliothek.
Konnte die Populärwissenschaft im 18. Jahrhundert noch auf der Höhe der parallelen Forschung sein, wurde im 19. und 20. Jahrhundert die Kluft zwischen Wissenschaft und Populärwissenschaft immer grösser und spiegelte damit auch die Kluft zwischen Wissenschaft und Oeffentlichkeit wider.
Viele Ursachen tragen zu diesem betrüblichen Stand der Dinge bei. Bis zu einem gewissen Grade ist die tatsächliche Trennung von Naturwissenschaft und Kultur paradoxerweise der Einführung einer wissenschaftlichen Ausbildung zuzuschreiben. Die Naturwissenschaft hat sozusagen ihren Amateurstatus verloren und damit einen Grossteil des öffentlichen Interesses. Niemand braucht über naturwissenschaftliche Dinge nachzudenken; es gibt immer Leute, die etwas davon verstehen. Die schnelle Entwicklung der Naturwissenschaft und die Vielfalt der naturwissenschaftlichen Entdeckungen haben eine die Allgemeinheit verwirrende Wirkung; sie wird unterstützt durch die Spezialisierung der Naturwissenschaftler selbst und jenes Märchen, das zunehmend Glauben findet, dass die Zeit lange vorbei sei, da jeder denkende Mensch mit Erfolg mehr als einen kleinen Bruchteil menschlichen Wissens erfassen, geschweige denn beanspruchen könne, alles zu überblicken. Tatsächlich spiegelt dieser Glaube nur die Tatsache wider, dass die Methoden der Darlegungen und des Austauschs in der Naturwissenschaft mit dem Fortschritt der Entdeckungen nicht Schritt gehalten haben. Ein gut durchdachtes System der wissenschaftlichen Veröffentlichung... müsste es jedem Menschen ermöglichen, sich ein allgemeines Bild vom Gesamtgebiet der Naturwissenschaft zu machen, das zugleich so detailliert ist, dass er die Bedeutung von Entwicklungen auf jedem einzelnen Teilgebiet erfassen kann. Im Augenblick stehen dem die Unzulässigkeit der naturwissenschaftlichen Fachsprachen und die Anarchie auf dem Gebiet der wissenschftlichen Veröffentlichungen entgegen." (5)
Diese 1939 veröffentlichten Zeilen sind auch heute aktuell. (6) Bernal glaubte nicht, dass die populärwissenschaftliche Literatur seiner Zeit einen Beitrag zur Verbreitung naturwissenschaftlichen Wissens leisten könne, wenn er schrieb:
Bei weitem das schlechteste sind populärwissenschaftliche Bücher. Sie umfassen langweilige und im allgemeinen umfängliche Kompendien des Wissens, die vermutlich um des Gewinnes willen, den sie dem Verleger bringen, veröffentlicht werden, Zusammenstellungen neüster Arbeiten, von naturwissenschaftlichen Dilettanten völlig missverstanden und schauderhaft entstellt, und schliesslich weise Reden der Prominenz des Faches als Bestseller." (7)
Trotz dieser hinsichtlich populärwissenschaftlicher Literatur negativen Äusserungen ist Bernal zuzustimmen, wenn er bemerkt:
"Wissenschaft kann in populärer Form dargeboten werden, ohne dass sie an Exaktheit verliert; sie wird wesentlich an Bedeutung gewinnen, wenn sie zu allgemeinmenschlichen Bedürfnissen und Bestrebungen in Beziehung gebracht wird." (8)
Jane Marcet:
Unterhaltungen über die Chemie, in welchem die Anfangsgründe dieser nützlichen Wissenschaft allgemein verständlich erläutert werden / nach der 13. engl. Aufl. hrsg. von Friedlieb F. Runge.
Berlin: Sander, 1839.
Nachdruck: Weinheim: Verlag Chemie, 1982.
Signatur: 1402-5385
In Form eines "Salon-Gespräches" werden durch eine wissende Mrs. B. zwei junge Mädchen, Emily und Caroline, in die Chemie eingeführt. Der Buchbinderlehrling Michäl Faraday, später berühmter Physiker und Chemiker, wurde u.a. durch dieses Buch zur Chemie geführt. Er schreibt:
Im Alter von 13 Jahren trat ich in das Geschäft eines Buchhändlers und Buchbinders ein, im Jahre 1804, und dort blieb ich acht Jahre lang, und während der meisten Zeit habe ich Bücher eingebunden. Es waren diese Bücher, die ich in den Stunden nach meiner Arbeit las, die mich zu meiner Wissenschaft führten ... Wenn ich Mrs. Marcets Buch durch so kleine Experimente, wie ich dazu Mittel führen konnte, um sie zu erproben, befragte, und es den Tatsachen entsprechend fand, so wie ich diese verstehen konnte, dann fühlte ich, dass ich an einem Anker im chemischen Wissen Halt gefunden hatte... (9)
Neben der Dialogform bilden die Briefform und die Erzählung wichtige Spielarten populärer Literatur, die sich bis in unser Jahrhundert erhalten haben. (10)
Die "Chemischen Briefe" von Liebig sind zuerst als Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erschienen:
Justus von Liebig:
Chemische Briefe. Wohlfeile (5.) Ausgabe.
Leipzig, Heidelberg: Winter, 1865.
Friedrich Wöhler schreibt über diese in der englischen Übersetzung "Familiar Letters" genannten Briefe:
Noch nie ist der Welt klarer gezeigt worden, was Chemie ist, in welchem Zusammenhang sie mit den physiologischen Vorgängen in der lebenden Natur steht, in welchem Zusammenhang mit Medicin, Landwirthschaft, Industrie und Handel. Diese Beziehungen in so klarer Weise dargelegt zu haben, daß sie ein Kind verstehen kann, ist allein schon hinreichend, dieses Werk zu einen klassischen zu stempeln. (11)
Die Dialogform in der populären Chemie-Literatur findet sich weiterhin in den beiden folgenden Werken, Dialog zwischen Lehrer und Schüler in:
Wilhelm Ostwald:
Die Schule der Chemie : erste Einführung in die Chemie für Jedermann. 2.Aufl.
Braunschweig: Vieweg, 1910.
zwischen Laie und Professor in:
L. Wunder:
Chemische Unterhaltungen.
Berlin-Schöneberg: Oestergaard, o.J.
Als Beispiel für die Form der Erzählung in der populären Chemie-Literatur sei nur der Roman "Anilin" von A. Schenzinger erwähnt, der in der Zeit des Nationalsozialismus viele Neuauflagen erlebte, da er die Taten deutscher Wissenschaftler verherrlichte.
Richtet sich die Populärwissenschaft anfangs an den gebildeten Erwachsenen, kommen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Kinder und Jugendliche als Ansprechpartner hinzu, so z. B. in Michael Faraday's "Naturgeschichte einer Kerze", entstanden aus Weihnachtsvorlesungen für die Jugend im Dezember 1860 und Januar 1861. Diese, im Original "Lectures on the Chemical History of a Candle", beschreiben den Werdegang einer Kerze und behandeln dabei grundlegende Erkenntnisse der Chemie.
Michael Faraday:
Naturgeschichte einer Kerze. 2.Aufl.
Bad Salzdetfurth: Franzbecker, 1980.
Signatur: 1404-5886
Die Entwicklung von Chemie und chemischer Industrie im Zuge der industriellen Revolution führte in der 2. Hälfte des letzten Jahrhundert und am Anfang dieses Jahrhunderts zu einer Flut von populären Chemie-Publikationen. Viele Bücher sind z.B. aus Vorträgen an Volkshochschulen entstanden.
In den damals preiswerten Schriftenreihen, wie "Sammlung Göschen" und "Aus Natur und Geisteswelt", zeigen die vielen chemischen Titel, daß für die Chemie ein reges Interesse bestand.
Werner Mecklenburg:
Grundbegriffe der Chemie.
Leipzig: Thomas, 1911.
Die Entwicklung der physikalischen Chemie, häufig auch als allgemeine Chemie bezeichnet, prägt eine Reihe von "Einführungen in die Chemische Wissenschaft" nach 1890, deren Inhalt sich an der fachlichen Gliederung der physikalischen Chemie orientiert:
Das Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien / hrsg.v. F. Reuleaux. 8. Aufl.
5. Band: Die Chemie des täglichen Lebens.
Leipzig, Berlin: Spamer, 1891.
Signatur: 2501-1508
In Allegorien zum Titel wird die Chemie hier noch als Göttin dargestellt, ebenso im Band 4: Die chemische Behandlung der Rohstoffe. Wie dieser betonen viele Titel um die Jahrhundertwende die wirtschaftliche Bedeutung der Chemie:
Das Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien / hrsg.v. F. Reuleaux. 8. Aufl.
4. Band: Die chemische Behandlung der Rohstoffe.
Leipzig, Berlin: Spamer, 1890.
Signatur: 2501-1498
Emil Lenk:
Die Unabhängigkeit von der Natur.
Leipzig: Thomas, (ca. 1914).
Populäre Literatur zum Thema "Chemie als Umweltproblem" ist in der Universitätsbibliothek der TU Hamburg-Harburg reichlich zu finden. Hier einige Beispiele:
Das Glück wollte mir diesmal besonders wohl, denn ich erlangte ein Exemplar der "Schule der Chemie" von Stöckhardt, dem verdienten Ackerbauchemiker. Es war sehr zerlesen und bestand nur aus den auseinanderfallenden Blättern. Ich lernte es aber bald als den grössten Schatz hegen und pflegen, der mir bis dahin in die Hand gefallen war. Denn diese Schule der Chemie erwies sich als ein unterrichtliches Meisterwerk ... ...kam der Stöckhardt meiner Sehnsucht entgegen, alle die schönen Dinge, von denen ich las, selbst zu machen. (14)Vermutlich aus diesem Grund gab Ostwald seiner eigenen populären Einführung in die Chemie den gleichen Titel.
Julius Adolph Stöckhardt:
Schule der Chemie : oder erster Unterricht in der Chemie, versinnlicht durch einfache Experimente. 15. Aufl.
Braunschweig: Vieweg, 1868.
Im Vorwort seines Buches beschrieb Stöckhardt das "Experiment als Hauptsache". Die Auswahl der Experimente erfolgte nach folgenden Prinzipien:
O. Nothdurft:
Chemisches Experimentierbuch : praktische Einführung in das Studium der Chemie auf Grund leicht ausführbarer Versuche. 29. Aufl.
Stuttgart u.a.: Union Dt. Verlagsges., 1913.
Erich Grosse, Christian Weissmantel:
Chemie selbst erlebt : das Chemie-Experimentierbuch. 4. Aufl.
Leipzig u.a.: Urania-Verl., 1982.
So schreibt Robert Wizinger in seinen "Chemische[n] Plaudereien" im Vorwort:
"Vor allem wird hier also über Forschungsgebiete und praktische Fragen berichtet, über die auch in den Tageszeitungen und illustrierten Blättern immer kurze Notizen erscheinen".
So ist denn auch der Untertitel dieses Buches ein "Kind seiner Zeit".
Robert Wizinger:
Chemische Plaudereien : über Gaskrieg, Atomzerstrümmerung, Vitamine und andere Gegenwartsprobleme.
Bonn: Verlag der Buchgemeinde, 1934.
Eindeutig volksbildnerischen und politischen Zweck hatte eine Sammlung populärer Aufsätze, die nach dem Zweiten Weltkriege erschien.
Wissenschaft lüftet den Schleier : von den Taten britischer Forscher.
Berlin: Arkaverlag, 1944.
Dieses Buch enthält populäre Aufsätze bedeutender britischer Wissenschaftler, wie z.B. den Chemikern Robert Robinson, James Kendall, John D. Bernal, den Physikern William und Lawrence Bragg u.a. Es sollte die Namen britischer Forscher und Erfinder in das Gedächtnis von Menschen zurückrufen, die unter dem Nationalsozialismus hauptsächlich von den Taten deutscher Wissenschaftler gehört hatten. Beispielsweise war die 1944 erschienene Chemiegeschichte von Paul Walden "in kurzer Darstellung eine den nationalen Leistungen der deutschen Chemie entsprechende Geschichte".
Paul Walden:
Drei Jahrtausende Chemie.
Berlin: Limpert, 1944.
Siegfried Poller:
Chemie auf dem Weg ins dritte Jahrtausend.
Leipzig: Chemie, 1979
Dieses in der DDR erschienene Buch ist getragen von einem starken Fortschrittsoptimismus und aus heutiger Sicht eindeutig ideologischen Passagen. So demonstrieren die umfangreichen Umweltschutzmassnahmen der UdSSR für die Autoren "überzeugend die Ueberlegenheit des Sozialismus auf diesem Gebiet". Dagegen gibt es in "Knaurs Buch der moderenen Chemie" schon 1971 differenziertere Ansichten zum Thema "Chemie und Umwelt", wenn Chemie im letzten Kapitel als "Wissenschaft mit Januskopf" bezeichnet wird.
Joachim Rudolph:
Knaurs Buch der moderenen Chemie. Lizenzausgabe.
Stuttgart: Dt. Bücherbund, 1971
James B. Conant:
Wissenschaft verständlich gemacht.
Berlin: Weiss, 1949.
Beispiele für populäre Chemiegeschichten stellen die folgenden Werke dar:
Otto Krätz:
Historische chemische Versuche : eingebettet in den Hintergrund von drei Jahrhunderten.
Köln: Aulis, 1987
Signatur: 2459-3771
Das Deutsche Museum in München vermittelt Chemie ebenfalls vor allem durch historische Bezüge.
Deutsches Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik / hrsg.v. Otto Mayr.
München: Beck, 1990.
Signatur: 2701-0170
Ein jüngeres Beispiel für eine Chemiegeschichte stellt das Buch von Karl-Otto Henseling dar, der erstmalig Chemiegeschichte und Geschichte von Umweltverschmutzung und Umweltschutz miteinander verbindet.
Karl-Otto Henseling:
Ein Planet wird vergiftet : der Siegeszug der Chemie : Geschichte einer Fehlentwicklung.
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992.
Signatur: 1407-1368
Rudolf Arendt:
Grundzüge der Chemie und Mineralogie. 7.Aufl.
Hamburg: Voss, 1899.
"Die Einführung des Unterrichtes in den Anfangsgründen der Naturwissenschaften ist jetzt in den Elementarschulen aller Länder zur Notwendigkeit geworden."
schreibt der englische Chemiker H. E. Roscoe in seinem elementaren Chemiebuch. Dieses ist entstanden aus Vorlesungen mit dem Titel "Science lectures for the people" im Winter 1866/67. Ueber 4000 Menschen besuchten die 13 Vorlesungen, bei einem für damalige Verhältnisse sehr teuren Eintritt von 1 Penny pro Vorlesung. (15)
Henry E. Roscoe:
Chemie. Dt. Ausgabe von F. Rose. 2.Aufl.
Strassburg: Trübner, 1878.
Roscoe war wesentlich beteiligt an der Weiterentwicklung und Verbreitung der Spektralanalyse.
Dass die Entwicklung der Spektralanalyse durch Robert W. Bunsen und Gustav R. Kirchhoff im Jahre 1859 schnell auch in den Schulunterricht Eingang fand, zeigen viele populäre Chemiebüchern der Zeit, in denen Spektraltafeln abgebildet sind. Die Spektroskopie ist noch heute mit ihren Weiterentwicklungen eine wichtige Analysemethode. Dagegen hat das Lötrohr als wichtiges analytisches Instrument des 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert seine Bedeutung verloren, feiert allerdings in einem modernen Schulbuch ein unerwartetes Comeback (S.41):
Johann Weninger, Helga Pfundt:
Stoffe und Stoffumbildungen. 1.Teil: Ein Weg zur Atomhypothese : Informationsbuch für Schüler.
Kiel: IPN, 1979.
"Es mag für einen Chemiker schmerzlich sein, doch es wird sich sehr empfehlen, sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass es - von wenigen, eher seltenen Ausnahmen abgesehen - die Faszination des Bösen ist, die einen Literaten zur Beschäftigung mit der Chemie treibt." (16)
So dient z.B. die Tatsache, dass die Titelfigur des "Untertan" von Heinrich Mann Chemiker ist, "nur zur Unterstreichung ihrer negativen Wirkung".
Das Fazit von Krätz:
"So betrüblich es auch für uns Chemiker sein mag, die Chemie in allen Varianten der Krimi- und Science-Fiction-Literatur als feile Dienerin des Bösen zu erleben, so bleibt letztlich nur die Erkenntnis, die 1983 die Amerikanerin (genaür: die Kanadierin) Margaret Atwood in ihrem erbaulichen Werk "Die Giftmischer" so formuliert hat: '... Ich erinnere mich an das Hochgefühl, mit dem wir es anrührten und vermehrten, an das Gefühl von Magie und Vollendung. Giftmischen macht ebensoviel Spass wie Kuchenbacken. Menschen mischen gerne Gift. Wer das nicht begreift, wird nie etwas begreifen..." (17)
Krätz spielt dabei auf etwas an, was im heutigen Chemie-Unterricht teilweise zu kurz kommt: die sinnliche Erfahrung der Materie, ein Thema, dem sich der Autor Mins Minssen verschrieben hat. Aus dem Klappentext seines Buches:
"Die Chemie hat den Stoffen ihre Form genommen: kleine Portionen farbloser Lösungen, ein paar Körnchen weissen Kristallpulvers, man fügt Kreidestriche zu einem Sechseck und sagt: 'Das ist Benzol'. Doch wie gross ist der Unterschied zwischen einem Ding und seiner Bezeichnung... Der Stoffcharakter, so behauptet er [,der Autor,] steckt im sinnlich Greifbaren mindestens so sehr wie im Chemischen. Die Chemie aber hat im Lauf der Zeit das frühere Schwelgen im Stoff abgelegt und ist zur Abstraktion abgemagert."
Mins Minssen:
Der sinnliche Stoff: vom Umgang mit Materie.
Stuttgart: Klett-Cotta, 1986.
Eine sinnliche Erfahrung vornehmlich im Reich der Insekten, die auch Krätz erwähnt, ermöglicht die Chemie der naturidentischen Sexuallockstoffe. Ihren etwas makabren Niederschlag gefunden, hat dieses Thema im Roman "Das Parfüm" von Patrick Süsskind. Der Roman "kreist ja nur um die Frage, ob man durch chemische Aufarbeitung der Haut junger Mädchen ein menschliches Lockstoffkonzentrat gewinnen kann, das auf Pflanzenbasis hergestellten Parfums eine unwiderstehliche Wirkung verleiht. Die rohe Beschaffung des Ausgangsmaterials etwas ausserhalb der Legalität macht den kriminalistischen Reiz dieses Werkes aus". (18)
Auch der Chemiker und Entwickler der Anti-Baby-Pille Carl Djerassi hat dieses Thema am Rande in seinem Roman "Cantors Dilemma" verarbeitet (S. 161ff). Wichtigstes Thema dieses Romanes ist allerdings die wissenschaftliche Arbeit selbst. Es geht um Betrug und Fälschung in der Wissenschaft (19), wobei die handelnden Personen Chemiker sind.
Diese Form populärwissenschaftlicher Literatur, von Djerassi "Science in Fiction" genannt, beschreibt den alltäglichen Wissenschaftsbetrieb. Themen, die besonders behandelt werden, sind: "Veröffentlichungen, Prioritäten, die Reihenfolge der Autoren, die Wahl der Zeitschrift, die Kollegialität und der brutale Konkurrenzkampf, akademische Anstellungen, Geldbeschaffung, der Nobelpreis, Schadenfreude" (S. 275) und anderes mehr.
Carl Djerassi:
Cantors Dilemma.
Zürich: Haffmans, 1991.
Signatur: 2728-2429
W. G. Richards:
Chemie : Probleme, Themen, Fragen.
Basel u.a.: Birkhäuser, 1989.
Signatur: 2703-1078
Eberhard Rossa:
Kurzweil durch Chemie. 2. Aufl.
Köln: Deubner, 1990.
Signatur: 2491-593
Im Zeitschriftenbereich soll besonders auf die populär gehaltene
Chemie in unserer Zeit.
Signatur: CHZ-105
sowie auf das Organ des Deutschen Museums
Kultur und Technik.
Signatur: TEZ-901
,in dem häufig populäre Aufsätze zur Chemie erscheinen,(20) hingewiesen werden.
Interessant auch das Heft 12 vom Wissenschaftsmagazin der Technischen Universität Berlin, das der Chemie gewidmet ist:
Wissenschaftsmagazin. TU Berlin.
Heft 12. 1989.
Signatur: WHZ-113
Weitere populäre Chemie-Literatur finden Sie in der Oeffentlichen Bücherhalle Harburg unter der Signatur Uc.
Auch der Ausstellungskatalog über die Chemie-Bestände einer an Altbeständen reichen Bibliothek wie der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel ist wie diese Ausstellungsbroschüre populäre Chemie-Literatur und darf damit in dieser Ausstellung nicht fehlen.
Chemie zwischen Magie und Wissenschaft : ex Bibliotheca Chymica 1500-1800.
Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek, 1991.
Signatur: 2709-7368
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(2) Aus Otto Krätz: Historische chemische Versuche. Köln: Aulis, 1987. S.VII.
(3) Für eine ausführliche Darstellung siehe
Dieter Reichelt: Zu den Anfängen der populärwissenschaftlichen Literatur im 18. Jahrhundert : ein Beitrag zur Literatur- und Wissenschaftsgeschichte.
Dissertation B, Berlin, Humboldt-Universität, 1989.
(4) Klaus-Harro Tiemann: Populärwissenschaftliche Zeitschriften des 19. Jahrhunderts. Vortrag.
65. Berliner Wissenschaftshistorische Kolloquium am 18.6.1991.
(5) John D. Bernal: Die soziale Funktion der Wissenschaft.
Köln: Pahl-Rugenstein, 1986. S. 108-109. Signatur: 2448-3137
(6) Im Hinblick auf die Fachsprachen vgl. den Aufsatz von Donald P. Hayes: The growing inaccessibility of science. Nature 356 (1992) S. 739-740.
Siehe auch Gero von Randow: Unverständliche Wissenschaft. Die Zeit. 5.6.1992.
(7) Bernal, a.a.O., S. 106
(8) Bernal, a.a.O., S. 306
(9) Zitiert nach: Otto Paul Krätz: Nachwort. Zu:
Jane Marcet: Unterhaltungen über die Chemie. Weinheim: Verl. Chemie, 1982. S. 491-492
(10) Vgl. Gunter Lind: Physik im Lehrbuch 1700-1850.
Berlin: Springer, 1992. S. 30-39. Signatur: 2725-391
(11) Friedrich Wöhler an Justus von Liebig, Brief vom 27. Januar 1859. Zitiert in:
Rudolph, Joachim: Knaurs Buch der moderenen Chemie. München: Drömersche Verlagsanst. Th Knaur, 1971. Geleitwort von Manfred Eigen. S. 10
(12) Siehe Bernal, a.a.O., S. 306, Anm.8.
(13) Siehe auch: Wechselwirkung 13(1991) Nr. 48.
Heft-Schwerpunkt: Sanfte Chemie.
Signatur: TEZ-120
(14) Wilhelm Ostwald: Lebenslinien. 1. Teil.
Berlin: Klasing, 1926. S. 43-44
(15) Michael B. Davies: Chemistianity - popularising chemistry.
Education in chemistry 25(1988) 2 . Seite 41-43.
(16) Otto Krätz: Die Chemie im Spiegel der Literatur des 20. Jahrhunderts.
Chemie in unserer Zeit 25(1991)44-50. Hier: S. 45
(17) Krätz, a.a.O., S. 49.
(18) Krätz, a.a.O., S.49.
(19) Siehe auch Klaus Roth: Der Fall des Nobelpreisträgers David Baltimore.
Nachr. Chem. Tech. Lab. 40(1992)303-308.
(20) z.B. Roald Hoffmann, Vivian Torrence: Luft, Erde, Wasser, Feür.
Kultur & Technik 1992 Heft 3. S. 35-44
Siehe auch den Band: Roald Hoffmann, Vivian Torrence: Chemistry imagined : reflections on science. Washington: Smithsonian Inst. Pr., 1993. Signatur: 2746-9857