Vom Krapp zum Alizarin

Vom Faerberhandwerk zur chemischen Industrie


Inhalt


Einleitung
Farbe bestimmt unsere Umwelt. Die notwendigen Farbstoffe werden heute meist von der chemischen Industrie bereitgestellt. Dass die Entwicklung der chemischen Industrie gerade mit der Produktion von Farbstoffen ihren Anfang nahm, ist weitgehend unbekannt. Die Substitution von Naturstoffen, hier den Naturfarbstoffen, als Hauptkennzeichen chemisch-industrieller Entwicklung laesst sich gut an der Verbreitung synthetischer Farbstoffe ablesen.

Historisch gesehen ist Krapp, die Wurzel der Faerberroete (Rubia tinctorum), der wichtigste Naturfarbstoff neben dem heute als Jeansfarbstoff verwendeten Indigo. Am Uebergang vom alten Krapp zum synthetisch hergestellten Alizarin soll durch diese Ausstellung veranschaulicht werden, wie die Entdeckung und Verbreitung der synthetischen Farbstoffe in der 2. Haelfte des vorigen Jahrhunderts, unterstuetzt durch die Entwicklung der Textilindustrie im Zuge der Industriellen Revolution, zu einem grossen Aufschwung der chemischen Industrie fuehrte.

Vom Naturfarbstoff zum synthetischen Farbstoff
Schon die Hoehlenmalereien der Altsteinzeit zeigen die Bedeutung der Farben fuer die kulturelle Entwicklung des Menschen. Eine Geschichte der Farben ist daher immer auch Kulturgeschichte. Farben dienen als Symbole und Kommunikationsmittel; Farbstoffe finden Anwendung in Kunst, Biologie, Physik, Chemie, in Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie oder auch im Alltaeglichen der Kleidung, die man traegt, oder des weissen Papiers, auf dem man schreibt. Selbst "Leben" ist auf der Erde ohne Farbstoffe (z.B. Chlorophylle) nicht denkbar.

Das Faerben mit Pflanzen- und Tierextrakten war Jahrtausende die einzige Moeglichkeit, dauerhaft gefaerbte Textilien zu erhalten. Erst die Entdeckungen der Chemie in der Mitte des 19. Jahrhunderts haben diese Faerbetechniken abgeloest. Krapp, die Wurzeln der Faerberroete, einer Pflanze aus der Familie der Roetegewaechse, war seit dem fruehen Mittelalter der wichtigste Lieferant eines roten Farbstoffes in Mitteleuropa. Schon im Altertum wurde Krapp zum Faerben verwendet, wovon Texte auf erhalten gebliebenen Papyrii zeugen. "Der rote Farbstoff, der nach dem orientalischen Namen der Pflanze 'Lizari'oder 'Alizari' Alizarin genannt wird, ist in der Wurzel der Krapppflanze enthalten. Sie wird im 3. Wachstumsjahr geerntet, getrocknet und gemahlen."(1) Methoden zur Faerbung von Baumwolle mit einem leuchtenden Rot, dem "Tuerkischrot", waren sehr umstaendlich und langwierig und wurden lange geheim gehalten.(2)

Die ersten synthetischen Farbstoffe wurden in der ersten Haelfte des 19. Jahrhunderts eher zufaellig gewonnen, da fuer eine gezielte Synthese die Theorie der organischen Chemie noch nicht ausreichte. So isolierte Friedlieb Ferdinand Runge 1834 aus dem Steinkohlenteer Anilin und gewann daraus durch Oxidation Anilinschwarz. Ebenfalls zufaellig fand der Englaender William Henry Perkin 1856 bei der Oxidation von verunreinigtem Anilin einen purpurvioletten Farbstoff, den er Mauvein (Anilinpurpur) nannte. Perkin gruendete daraufhin die erste Fabrik fuer synthetische Farbstoffe.

Die Alizarinsynthese gelang 1868 Carl Graebe und Carl Liebermann. Sie erkannten, dass das Alizarin ein Derivat des im Steinkohlenteer vorkommenden Anthracen sein muss. Justus von Liebig hatte schon Jahre vorher die Synthese des Alizarins prophezeiht. Er schrieb: Wir "glauben, dass morgen oder uebermorgen jemand ein Verfahren entdeckt, ...aus Steinkohlenteer den herrlichen Farbstoff des Krapp oder das wohltaetige Chinin oder das Morphin zu machen."(2) Die technische Synthese ueber die Sulfonierung des Anthrachinons wurde von Graebe, Liebermann und Caro im "Wettlauf" mit Perkin am 25. Juni 1869 als englisches Patent eingereicht.

Eine Betrachtung der fuer die Alizarinsynthese notwendigen Rohstoffe zeigt deutlich den grossen Bedarf an anorganischen Grundchemikalien, wie Schwefelsaeure, Natronlauge und Soda. Die erheblichen Aufwendungen, die die chemische Industrie fuer die Behandlung ihrer Abfallprodukte, Mengen anorganischer Abfaelle und auch zum Teil hoch toxischer organischer Verbindungen, machen muss, sind auch durch die Farbstoffproduktion bedingt.

Die Farbstoffindustrie als erstem Produktionsbereich, in dem eine Vielzahl synthetischer Stoffe systematisch entwickelt und zur Anwendung gebracht wurde, "ist historische Wurzel und heute - als chemische Grossindustrie - direkte Quelle der Risiken, die mit der massenhaften Erzeugung und Verbreitung naturfremder Stoffe verbunden sind."(4)

Welche Bedeutung hatte das Jahr 1735 fuer die Entwicklung der Farbenchemie ?
Welche Folgen hatte die Synthese des Alizarins auf die Landwirtschaft ?
Welchen Einfluss hatte die Farbstoffchemie auf die Entwicklung der chemischen Industrie ?
Warum ging die Alizarinproduktion nach dem ersten Weltkrieg deutlich zurueck ?

Durch die Beantwortung solcher Fragen werden anhand der Geschichte des Farbstoffes "Krapp/Alizarin" wesentliche Zusammenhaenge zwischen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung deutlich.

Geschichte eines Farbstoffes
3. Jahrh. v. Chr.Zwei Handschriften auf Papyrus erwaehnen Krapp als Farbmaterial zur Herstellung von Rot.
ca. 800 n. Chr.Landgueterverordnung Karls des Grossen sieht Anbau von Krapp vor.
MittelalterZuenfte der Faerber: Schwarz-, Blau- und Rotfaerber. Handel mit Farbstoffen bringt grosse Gewinne.
1500-1700Niederlande sind bedeutendster Krappproduzent
18. Jahrh.Frankreich ist bedeutendster Krappproduzent
1735Erster mit Koks betriebener Hochofen zur Roheisenherstellung
Ende 18.Jahrh.Beginn der Industriellen Revolution
1826Colin und Robiquet isolieren Alizarin als faerberischen Hauptbestandteil des Krapps
1840Erneuter Aufschwung des Krapp-Anbaus in Frankreich durch Order des Koenigs Louis Philippe, die dem Militaer rote Hosen und Muetzen vorschrieb.
1856Perkin gewinnt Mauvein (Anilinpurpur).
seit 1857Entwicklung der Strukurchemie durch Kekule (Benzolformel), Butlerow, Erlenmeyer u.a.
1860-1870Gruendung von Farbstoffabriken (Farbenhandlung Bayer, Wuppertal 1863. Farbwerke Meister, Lucius und Bruening, Hoechst, 1863. Badische Anilin- und Sodafabrik, Ludwigshafen, 1865. Aktiengesellschaft fuer Anilin-Fabrikation (Agfa), Berlin 1872)
Mitte 19. Jahrh.50 000 Tonnen Krappwurzelverbrauch auf der Welt (entspricht bei Alizaringehalt von 2% 1000 t reinem Farbstoff)
1868Umsatz von Alizarin liegt bei rd. 60 Millionen Mark
1868Alizarinsynthese durch Graebe und Liebermann
1877Synthetische Alizarinmenge ueberholt natuerliche bei fallenden Preisen (Exportwert von Krapp in Deutschland betraegt 1868 24,7 Millionen Mark und 1876 3,7 Millionen Mark)
1925Gruendung der IG Farbenindustrie A.G. (groesster Chemiekonzern Europas)
1945Aufloesung des IG Farbenkonzerns, spaeter Neugruendung von Bayer, BASF und Hoechst
1982Der Umsatz an Farbstoffen in der Welt betrug bei der Bayer-Gruppe 2 Milliarden DM (6% des Bayer-Welt-Umsatzes) und bei der BASF-Gruppe 4,633 Milliarden DM (14,3% des BASF-Welt-Umsatzes)(5)

Lassen wir auf eine der gestellten Fragen den Chemiker und Zeitgenossen von Graebe und Liebermann Carl Schorlemmer antworten: "Ein Freund des Verfassers, welcher damals Avignon besuchte, sagte zu seinem Fuehrer, nachdem er sich diese interessante alte Stadt angesehen hatte, er moege ihm die Krappfelder zeigen. Die Antwort war: 'Wir bauen keine mehr, denn er wird jetzt nur noch mit Maschinen gemacht.'"(6)

Gang durch die Ausstellung
Neben ausgestellten Naturfarbstoffen, wie Krapp, Rotholz u.a., und den Faerbeproben auf Wolle mit verschiedenen Beizen faellt besonders ein nach dem Neurotverfahren mit Tuerkischrotoel vorbehandeltes leuchtend rotes Baumwollstueck auf. Die daneben gelegte vereinfachte Faerbeanleitung zeugt von der Muehe und Geduld, die man bei der Tuerkischrotfaerberei aufbringen musste.

Die Bedeutung des Krapp im 18. Jahrhundert laesst sich an der Aufstellung von speziellen Gesetzen, den Roetheordnungen, ablesen, in denen der Handel mit Krapp geregelt wurde. Eine dieser Ordnungen liegt zum Anlesen aus.(7)

Weitere Ausstellungsstuecke dokumentieren den Wissensstand zum Krapp bzw. Alizarin vor der Alizarinsynthese.(8) Der Krapp war im 18. und in der ersten Haelfte des 19. Jahrhunderts Gegenstand vielfaeltiger chemischer Untersuchungen, ohne dass "man jedoch zu einem voellig genuegenden Resultat gekommen waere."(9)

Heute findet das Faerben mit Naturfarben in Textillaeden der alternativen Stroemung neuen Aufschwung. Zwei Faerbebuecher als Literaturhinweis dokumentieren diese Entwicklung.(10)

Darstellungen historischer Industrieapparaturen zur Farbstoffsynthese machen die relativ einfache Technik der industriellen Farbstoffchemie deutlich.(11)

Die Auswirkung der industriellen Synthese auf Preise und Produktion des Alizarins laesst sich einer Darstellung der chemischen Industrie aus dem Jahre 1909 entnehmen:(12)

                                            Alizarinproduktion

                            Menge                        Preis
              (100%ige Ware in 1000 kg)        (Mark pro kg)

1869                                                         270,-
1871                            15                         140,-
1873                          100                         120,-
1878                          750                          23,-
1884                        1350                          12,50
1913                        2000                           1,78
1924                        1120                           1,15

Einen Eindruck von der Verflechtung zwischen chemischer Industrie und wissenschaftlicher Forschung gerade bei den Farbstoffen geben die Quellen von Witt (13) und Lauterbach (14).

Den Abschluss der Ausstellung bilden einige Proben von industriell erzeugten Farbstoffen mit entsprechenden Textileinfaerbungen sowie einige moderne Buecher zur Farbstoffchemie.(15)


Copyright: Thomas Hapke

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Anmerkungen und Literaturhinweise
(1) Schneider, Gudrun: Faerben mit Naturfarben. Ravensburg: Maier, 1979. S. 26.
Signatur: 1402-0458

(2) Liebig, Justus von: Chemische Briefe. Wohlfeile Ausgabe (5. Aufl.) Leipzig, Heidelberg: Winter, 1865, S. 38.

(3) Nach: Produktion und Umweltschutz am Main. Frankfurt a.M.: Hoechst, 1980.

(4) Henseling, K.O., A. Salinger: Farbstoffe. 2 Teile. (Polyskript. Handreichung fuer den Unterricht) Berlin, 1985. Hier: T. 1, S. 116.

(5) Nach: BASF AG, Daten und Fakten. Ludwigshafen, Ausgabe 1983/84. und Bayer AG, Bayer - Namen, Zahlen, Fakten. Leverkusen, Ausgabe 1983/84.

(6) Schorlemmer, Carl: Ursprung und Entwicklung der organischen Chemie. Leipzig : Akadem. Verlagsges. Geest & Portig, 1979. (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften ; Bd. 259) S. 229-230.

(7) Faerberey. Gr. 8o. 42 S. Sonderdruck. Vermutlich aus: Bergius, Johann Heinrich Ludwig: Neues Policey- und Cameralmagazin. 6 Theile. Leipzig: Weidmann, 1775-1780.

(8) Schlossberger, J. E.: Lehrbuch der organischen Chemie. 2. Aufl. Stuttgart: Mueller, 1852.
Signatur: 2310-1410

(9) Schubarth, Ernst Ludwig: Handbuch der technischen Chemie. 3. Bd. 3. Aufl. Berlin: Ruecker & Puechler, 1840. Signatur: 2309-6347 Hier: S. 296.

(10) Siehe (1) und Feddersen-Fieler, Gretel: Farben aus der Natur. 4. Aufl. Hannover: Schaper, 1985. Signatur: 2436-3273

(11) Ost, H.: Lehrbuch der chemischen Technologie. - 15.Aufl. - Leipzig: Jaenecke, 1926. Tafel IX zu S. 644 (vgl. Abb. auf Titelblatt). Signatur: 2484-8646. und Heusler, Fr.: Chemische Technologie. - Leipzig: Teubner, 1905. S. 208.
Signatur: 2484-8633

(12) Mueller, Gustav: Die chemische Industrie. - Leipzig: Teubner, 1909. S.362-363 und S. 377. und nach: Anm.4 T.1, S.51.
Signatur: 2484-8659

(13) Witt, Otto N.: Die chemische Industrie des deutschen Reiches im Beginne des zwanzigsten Jahrhunderts : eine Festschrift ... - Berlin: Gaertner, Heyfelder, 1902. Hier S. 202 ff.
Signatur: 2484-8662

(14) Lauterbach, F.: Geschichte der in Deutschland bei der Faerberei angewandten Farbstoffe. Leipzig, 1905.

(15) Kratzert, Wilfred, Rasmus Peichert: Farbstoffe. - Heidelberg: Quelle & Meyer, 1981.
Signatur: 2410-0928
Rys, Paul, Heinrich Zollinger: Farbstoffchemie.- 3.Aufl. - Weinheim u.a.: Verl. Chemie, 1982.
Signatur: 2409-3352
Wittke, Georg: Farbstoffchemie. - 2.Aufl. - Frankfurt a.M. u.a.:Diesterweg/Salle, 1984.
Signatur: 1401-8596
Gordon, Paul F., Peter Gregory: Organic chemistry in colour. - Berlin u.a.: Springer, 1987.
Signatur: 2455-4587
Ebner, Guido, Dieter Schelz: Textilfaerberei und Farbstoffe. - Berlin u.a.: Springer, 1989.
Signatur: VTE-920

Zum Thema existiert eine Unterrichtsreihe fuer den Chemieunterricht der Sekundarstufe II: Hapke, Thomas: Faerben mit Krapp und Alizarin. - Berlin: Paedagogisches Zentrum, 1988. Signatur: 3205-5670


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