Fachreferent 2000 - Quo vadis?
Die aktive Fachinformation als neue Herausforderung und Chance
12 Thesen
- 1.
- Die primäre Legitimation des Berufes des
wissenschaftlichen Bibliothekars liegt in dessen Aufgabe als
Fachreferent und nicht in der Wahrnehmung von Verwaltungsfunktionen
(Spannungsfeld).
- 2.
- In seinen Verwaltungsfunktionen ist der wissenschaftliche
Bibliothekar substituierbar durch befähigte Mitarbeiter des
Gehobenen Dienstes (Diplombibliothekare), in seinen Fachreferatsaufgaben
ist er es nicht. (Das Absolvieren eines akademischen Studiums
prädestiniert nicht unbedingt für Verwaltungsaufgaben.)
Prinzip: Jeder tut das, was auch nur er tun kann.
- 3.
- Der wissenschaftliche Dienst an einer Bibliothek unterscheidet sich
grundlegend von dem an anderer Behörden und Ämtern, wo in erster
Linie Juristen für Verwaltungsaufgaben gebraucht werden. In einer
Bibliothek ist die Fachkompetenz im ursprünglich studierten Fach
gefragt.
- 4.
- Immer mehr Fremdleistungen entlasten den Fachreferenten von
seinen klassischen Routineaufgaben. Dadurch werden Kapazitäten für
neue Aufgaben im Bereich der aktiven Fachinformation frei.
- 5.
- Der klassische Fachreferent, der "nur" erwirbt und erschließt
(Sachkatalog, Standortvergabe) ist tot. Es lebe der Fachreferent
2000, der dies alles auch tut, der aber außerdem auch das, was er
erwirbt, aktiv vermittelt.
Fachreferent 2000 = Fachreferent 1900 + aktive Fachinformation
Aktive Fachinformation:
- konventionelle Fachauskunft (Print-Medien, Sachkatalog)
- Durchführung von Schulungen in CD-ROM-Datenbankrecherchen
- Durchführung und Schulung in Online-Datenbankrecherchen
- Erschließung und Vermittlung von Internet-Ressourcen (elektron. Zeitschriften, Fachreferatshomepage)
- 6.
- Der Fachreferent an der Zentralbilbliothek ist der einzige
Mitarbeiter der Universität, der das gesamte Spektrum der
Fachinformation kennt und als Ressource zur Verfügung hat.
- 7.
- Die Wissenschaftler erwarten (warten auf) die Aktivität des
Fachreferenten und nehmen seine Dienste dankbar an.
- 8.
- Für die Akzeptanz des Fachreferenten durch die Wissenschaftler
ist seine physische Präsenz entscheidend. Telefon-, Telefax-,
E-mail-, Internet- oder sonstige "virtuelle" Kontakte reichen nicht aus.
- 9.
- Es empfiehlt sich, "klein" anzufangen, mit kleinen
Schulungsangeboten. Nicht auf die große Konzeption warten.
- 10.
- Damit der Fachreferent seine Aufgaben im Bereich der aktiven
Fachinformation erfüllen kann, ist eine laufende Fortbildung
erforderlich. Diese findet nicht durch die bloße Teilnahme an sog.
Fortbildungsveranstaltungen statt. Von dort können bestenfalls
Anregungen zur Fortbildung ausgehen. Fortbildung ist eine
tägliche Aufgabe im Berufsalltag des Fachreferenten. Daher
ist ihm die Möglichkeit einzuräumen, an Kolloquien und ähnlichen
Veranstaltungen seiner Fakultät teilzunehmen, was gleichzeitig einen
intensiven Kontakt ermöglicht.
- 11.
- Damit es auch im Hinkblick auf den beruflichen Aufstieg und die
Besoldung attraktiv wird, ein guter Fachreferent zu sein, ist eine
Abkopplung der Besoldungskriterien von der Wahrnehmung
bestimmterVerwaltungsaufgaben (Abteilungsleiter) erforderlich,
denn: noch nie (oder?) wurde ein Bibliothekar des höheren Dienstes A 15, bloß weil er ein sehr guter Fachreferent war.
- 12.
- Der Fachreferent 2000 ist unverzichtbar für Wissenschaft
und Lehre und damit frei von allen Legitimationsproblemen seines
Berufsstandes, sowohl was äußere, als auch innere "Anfechtungen"
(Konkurrenzsituationen in der Bibliothekshierarchie) betrifft.
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Dr. Helmut Oehling
Universitätsbibliothek Stuttgart
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März 1997