Clickern in der Vorlesung

Wie man es schafft, Studierende zum Nachdenken zu bringen

Ruhe herrscht im Auditorium Maximum der Technischen Universität Hamburg. Konzentriert folgen die zahlreichen Studierenden den Ausführungen von Professor Michael Schlüter zur Strömungsmechanik. Seine anspruchsvolle Einführungsvorlesung in die Physik und die Mathematische Modellierung von Strömungen vermittelt wichtige Grundlagen für das Studium. Der Stoff muss gelernt und verstanden werden. Doch Fragen aus dem Plenum an den Professor sind selten. Die meisten Studierenden haben Angst, vor großem Publikum etwas Falsches zu sagen und sich zu blamieren. Der Verfahrenstechniker Schlüter weiß um die Problematik und setzt seit einigen Jahren sogenannte Clicker während seiner Vorlesungen ein. "Wenn ich testen möchte, ob die Studierenden den Stoff der Vorlesung verstanden haben, stelle ich eine Frage zum Thema, biete gleichzeitig mehrere Lösungen an und bitte die Studierenden, sich mit Hilfe des Clickers per Knopfdruck für eine Antwort zu entscheiden."

Die handlichen Geräte sehen aus wie Fernbedienungen. Sekundenschnell übermitteln sie per Funk die anonymen Antworten auf Schlüters Notebook; für die Studierenden sind sie über eine Beamerprojektion sichtbar. Die Studierenden können sich anhand des Meinungsbildes besser einschätzen und der Dozent erkennt die Wissenslücken. Mit dem Clickern ist der Moment gekommen, in dem sich die Studierenden sammeln. Für einen Augenblick ist es mucksmäuschenstill im Vorlesungssaal. Etwas eine Minute bleibt den angehenden Ingenieuren und Ingenieurinnen Zeit zum Nachdenken, in der sie sich individuell für eine Antwort zu entscheiden. Ist das erste Ergebnis nicht eindeutig, fordert Schlüter die Studierenden zur Diskussion untereinander auf. "Jeder ist aufgefordert zu versuchen, den Banknachbarn von seiner Meinung zu überzeugen. Eine erneute Abstimmung zeigt dann bemerkenswerte Änderungen in der Abstimmung mit einem eindeutigen Ergebnis für die richtige Antwort. Darüber hinaus sind die Diskussionen überraschend lebhaft", freut sich Schlüter. Die Erklärung liegt auf der Hand: Zum einen sorgt der Schutz der Anonymität während der Abstimmung für eine große Beteiligung, zum anderen vollzieht sich der Austausch innerhalb der Studentenschaft auf Augenhöhe - allen macht es Spaß, interaktiv tätig zu werden."

Erfinder der Methode ist Prof. Eric Mazur von der Universität Harvard in Cambridge, Massachusetts. In den 1990er Jahren entwickelte er für seine Studierenden die Lehr- und Lernmethode des Peer-Instruction. Er ging davon aus, dass Studierenden, haben sie etwas verstanden, die besten Lehrer sind, wenn sie es mit ihren eigenen Worten weitergeben. Aus den Staaten an die TUHH mitgebracht und damit erstmalig in Deutschland eingeführt hat diese Methode der TUHH-Physiker Prof. Dr. Christian Kautz, der sie vor neun Jahren zusammen mit Prof. Dr.-Ing. Gerhard Schmitz zunächst in der Vorlesung Thermodynamik einsetzte. Statt handlicher Fernbedienungen wurden anfangs sperrige Infrarotgeräte eingesetzt, die in riesigen Rollkoffer über den Campus hin ins Audimax bewegt wurden. Schmitz erinnert sich: „Damals herrschte noch die Meinung vor, dass jeder Professor von Amts wegen ein begnadeter Didaktiker ist. Im günstigsten Fall wurden die Geräte daher als nette Spielerei abgetan, im ungünstigsten Fall war der Einsatz ein Zeichen von (Lehr-) Schwäche, die man nun offenbar mit Hilfsmitteln zu kompensieren versuchte. Heute ist es etwas einfacher, sich zu den Geräten zu bekennen.“

Neue Clicker haben 2012 an der TUHH Einzug gehalten. „Seitdem hat der Einsatz rasant zugenommen", sagt Kautz, der als Professor und Leiter der Abteilung für Fachdidaktik der Ingenieurwissenschaften eng mit dem Zentrum für Lehre und Lernen zusammenarbeitet. Neben den Clickern hängt der Erfolg der Methode von der Qualität der gestellten Fragen an. Kautz: „Es sollten keine Fragen gestellt werden, die sich auf rein Faktisches bzw. schnell nachzuschlagende Inhalte beziehen. Hingegen sprechen sinnvolle Fragen das qualitative Verständnis der Studierenden an und bringen sie dahin, selbst relevante Fragen zu formulieren.“ Clickern hilft aber nicht nur den Studierenden beim Verständnis des Stoffes. Auch für die Lehrenden, so Prof. Schmitz, sei die Rückmeldung über das, was verstanden wurde und was nicht, zur Verbesserung der eigenen Lehre sehr wichtig.

Die TUHH verfügt über mittlerweile 1800 Geräte, die ein aktives Lernen in großen Vorlesungen ermöglichen. Die Akzeptanz der Methode liegt bei fast 100 Prozent. 95 Prozent der Studierenden sagen, dass Clickern die Vorlesung attraktiver machen und sehr hilfreich für das Erlernen des Stoffes sind (85 Prozent). Ebenfalls bestätigen Klausurergebnisse mit guten bis sehr guten Leistungen den positiven Einfluss der Methode. Eine Erhebung des Zentrums für Lehre und Lernen an der TUHH (ZLL) hat ergeben, des "alle in unserer Erhebung befragten Lehrenden geben an, mit der Methode zufrieden zu sein."
Professor Schmitz: „Die Ergebnisse der erwähnten Erhebung des ZLL kann ich nur bestätigen. Ich habe selbst im Juni diesen Jahres im Rahmen eines ZLL-Projektes in meiner Vorlesung Thermodynamik eine Umfrage durchgeführt. Sie erbrachte die gleichen Ergebnisse. Die Methode wird von den Studierenden durchweg positiv bewertet. Ein Student schrieb den für mich bemerkenswerten Satz: Die Clickergeräte helfen während der Vorlesung mitzudenken, wenn man nur zuhört, ist das Gehirn häufig im Stand-by".

Aktuell angeschafft hat das ZLL eine neue Clickersoftware aus den USA. "Damit soll es möglich werden, detailliertere Auswertungen der Abstimmungen vorzunehmen oder ein sogenanntes Speed-o-meter einzuführen. Auf diese Weise können Studierende jederzeit signalisieren, ob sie dem in der Vorlesung vermittelten Stoff folgen können oder es zu schnell geht", sagt Timo Lüth vom Zentrum für Lehren und Lernen. Seine Aufgabe ist es unter anderem, Lehrende und Lernende mit dem Einsatz von Geräten zu unterstützen

Der enorme Einsatz für die Lehre und das Lernen an der TUHH findet Anerkennung. So würdigt beispielsweise die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die Fortschritte an der Technischen Universität von Clicker und Peer Instruction durch Aufnahme in die Landkarte der "Good Practices" (http://www.hrk-nexus.de/material/gute-beispiele-und-konzepte-good-practice.de). Auf der Karte veröffentlicht das "Projekt nexus" der HRK ausgewählte Konzepte und gute Umsetzungsbeispiele aus den Bereichen Studium und Lehre. Neben Clickern hat die HRK ebenfalls das "Interdisziplinäre Bachelor Projekt", "Exemplarisches Lernen durch PBL/Problem Based Learning" und das "Projekt LearnINGTUHH – Ingenieurbildung für Anforderungen der Gesellschaft im 21. Jahrhundert" als beispielhaft in seine Auswahl aufgenommen. Die genannten Projekte sind am ZLL angesiedelt.

Text: Martina Brinkmann

http://www.tu-harburg.de/fachdidaktik

Quelle Zitate Eric Mazur:
http://www.aulis.de/items/view/praxis-der-naturwissenschaften-physik-in-der-schule.html